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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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dennoch weiter.
    Schließlich hörte sie auf, aber nur deshalb, weil sie feststellte, dass sie bloß noch Luft saugte, und das schon seit einigen Sekunden. Es war noch Wasser in Geralds Glas, aber die Spitze ihres behelfsmäßigen Strohhalms kam nicht mehr ganz hin. Die Bettdecke unter der zusammengerollten Abokarte war dunkel vor Feuchtigkeit.
    Ich könnte den Rest aber bekommen. Ich könnte. Wenn ich die Hand ein bisschen weiter in die unnatürliche Richtung nach hinten drehen könnte wie vorhin, als ich das Glas geholt habe, könnte ich auch den Hals etwas weiter strecken und die letzten Tropfen aufsaugen: Ob ich glaube, dass ich es kann? Ich weiß es.
    Sie wusste es wirklich, und später sollte sie den Plan in die Tat umsetzen, aber vorerst hatten die Typen mit den weißen Kragen in der Chefetage – die mit der guten Aussicht – den Tagelöhnern und Mechanikern, die die Maschine am Laufen hielten, die Kontrolle wieder abgenommen; die Meuterei war vorbei. Ihr Durst war noch längst nicht völlig gestillt, aber ihr Hals pulsierte nicht mehr, und sie fühlte sich viel besser … geistig ebenso wie körperlich. Ihr Denken war geklärt, die Aussichten nicht mehr ganz so trostlos.
    Sie stellte fest, dass sie froh war, den letzten Rest im Glas gelassen zu haben. Zwei Schluck Wasser durch einen lecken Strohhalm waren wohl einerlei, ob sie ans Bett gefesselt blieb oder einen Ausweg aus diesem Schlamassel fand – geschweige denn zwischen Leben und Tod -, aber diese letzten Schlucke zu bekommen konnte ihr Denken ablenken, wenn und falls dieses wieder versuchte, sich seinen eigenen morbiden Belangen zuzuwenden. Schließlich wurde es Nacht, ihr Mann lag tot auf dem Boden, und es sah so aus, als müsste sie noch eine Weile hierbleiben.
    Keine besonders angenehme Vorstellung, schon gar nicht, wenn man den hungrigen Streuner mit einbezog, aber Jessie stellte fest, dass sie trotzdem wieder müde wurde. Sie suchte nach Gründen, gegen ihre zunehmende Schläfrigkeit zu kämpfen, aber ihr fielen keine guten ein. Nicht einmal die Vorstellung, mit bis zu den Ellbogen eingeschlafenen Armen aufzuwachen, erschien besonders schreckhaft. Sie würde sie einfach bewegen, bis das Blut wieder ungehindert zirkulieren konnte. Es würde nicht angenehm sein, aber sie hatte keine Zweifel, dass sie es schaffen würde.
    Außerdem könnte dir im Schlaf etwas einfallen, Teuerste, sagte Goodwife Burlingame. In Büchern ist das immer so.
    »Dir vielleicht«, sagte Jessie. »Schließlich hast du bis jetzt den besten Einfall gehabt.«
    Sie ließ sich zurücksinken und drückte das Kissen mit den Schulterblättern, so fest sie konnte, ans Kopfteil. Ihre Schultern schmerzten, ihre Arme (besonders der linke) pochten, ihre Bauchmuskeln flatterten immer noch von der Anstrengung, den Oberkörper so weit vorne zu halten, dass sie mit dem Strohhalm trinken konnte – aber sie fühlte sich dennoch seltsam zufrieden. Mit sich selbst in Einklang.
    Zufrieden? Wie kannst du zufrieden sein? Dein Mann ist tot, und du bist daran nicht unschuldig, Jessie. Und angenommen, du wirst gefunden? Angenommen, du wirst gerettet? Hast du dir einmal Gedanken gemacht, wie diese Situation für denjenigen aussehen muss, der dich findet? Was, meinst du, wird beispielsweise Constable Teagarden dazu sagen? Was meinst du, wie lange er brauchen wird, bis er sich entschließt, die State Police zu verständigen? Dreißig Sekunden? Vielleicht vierzig? Hier draußen auf dem Land denken sie ein bisschen langsamer, richtig – also braucht er vielleicht ganze zwei Minuten.
    Dagegen konnte sie nichts vorbringen. Es stimmte.
    Wie kannst du nur zufrieden sein, Jessie? Wie kannst du zufrieden sein, wenn das alles über deinem Kopf schwebt?
    Sie wusste es nicht, aber es war so. Ihr Gefühl der Ausgeglichenheit war so tief wie ein Sprungfederbett in einer Nacht, wenn der Märzwind Graupelschauer aus Nordwesten blies, und so warm wie eine Daunendecke auf diesem Bett. Sie vermutete, dass dieses Gefühl weitgehend von körperlichen Empfindungen herrührte: Wenn man durstig genug war, konnte einen offenbar ein halbes Glas Wasser high machen.
    Aber da war auch noch die geistige Seite. Vor zehn Jahren hatte sie widerwillig ihren Job als Aushilfslehrerin aufgegeben und sich damit letztlich dem Druck von Geralds hartnäckiger (oder vielleicht war »stur« das Wort, nach dem sie wirklich suchte) Logik gefügt. Da hatte er schon fast hunderttausend Dollar im Jahr verdient; daneben nahmen sich ihre fünf bis

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