Das Spiel
steht und den Krocketschläger wie ein Wachsoldat auf den Schultern trägt (und die in Hörweite einer scheinbar beiläufigen Unterhaltung zwischen Mann und Frau ist, bei der es sich aber durchaus um ein listig verbrämtes Kompliment an seine Tochter handeln könnte), dann seine Frau. »Ich glaube, es war doch eine ziemlich gute Idee, hierherzukommen«, sagt er.
Besser als gut, denkt Jessie. Unglaublich toll und völlig abgefahren, wenn ihr die Wahrheit wissen wollt. Doch das ist es nicht ganz, was sie wirklich denkt, wirklich meint, aber es wäre gefährlich, den Rest laut auszusprechen; das würde die Götter in Versuchung führen. In Wirklichkeit denkt sie, dass der Tag makellos ist – ein süßer und perfekter Pfirsich von einem Tag. Sogar das Lied, das aus Maddys tragbarem Plattenspieler plärrt (den Jessies große Schwester zu diesem Anlass freudestrahlend auf die Veranda gerollt hat, obwohl er normalerweise die Große Unberührbare Ikone ist), ist okay. Jessie wird Marvin Gaye nie richtig mögen – ebenso wenig wie sie je den schwachen Mineraliengeruch mögen wird, der an heißen Sommernachmittagen vom See aufsteigt -, aber dieser Song ist okay. I’ll be doggone if you ain’t a pretty thing … bay-bee: albern, aber nicht gefährlich.
Es ist der 14. August 1965, ein Tag, der war, ein Tag, der im Kopf einer träumenden, mit Handschellen ans Bett gefesselten Frau in einem vierzig Meilen südlich von Dark Score gelegenen Haus immer noch ist (aber mit demselben Mineraliengeruch, dem wüsten, erinnerungsträchtigen Geruch an heißen Sommertagen), und obwohl das zwölfjährige Mädchen, das sie gewesen ist, Will nicht sieht, wie er sich hinter ihr anschleicht, als sie sich bückt, um den Krocketball zu schlagen, und dabei den Allerwertesten so dreht, dass es einfach zu verlockend für einen Jungen ist, der erst ein Jahr für jede Spielrunde beim Baseball gelebt hat, weiß ein Teil ihres Denkens, dass er da ist, und genau das ist die Naht, wo der Traum mit dem Alptraum zusammengenäht ist.
Sie nimmt Maß für den Schuss und konzentriert sich auf das knapp zwei Meter entfernte Tor. Ein schwerer Schlag, aber kein unmöglicher, und wenn sie den Ball durchbekommt, kann sie Caroline vielleicht doch noch schlagen. Das wäre schön, weil Caroline fast immer beim Krocket gewinnt. Und als sie den Schläger gerade hochhebt, ändert sich die Musik aus dem Plattenspieler.
»Oww, listen everybody«, singt Marvin Gaye, der sich für Jessie jetzt mehr als nur gespielt bedrohlich anhört, »especially you girls …«
Gänsehaut breitet sich auf Jessies braungebrannten Armen aus.
»… is it right to be left alone when the one you love is never at home? … I love too hard, my friends sometimes say …«
Ihre Finger werden taub, sie verliert jedes Gefühl für den Schläger in ihren Händen. Ihre Handgelenke kribbeln, als wären sie mit
(Strümpfen, Goody ist in Strümpfen, kommt und seht Goody in Strümpfen, kommt und lacht über Goody in Strümpfen)
unsichtbaren Klammern gefesselt, und ihr Herz ist mit einem Mal schwer vor Kummer und Ekel. Es ist der andere Song, der falsche Song, der schlimme Song.
»… but I believe … I believe … that a woman should be loved that way …«
Sie sieht zu der kleinen Gruppe Mädchen auf, die darauf warten, dass sie ihren Schlag macht, und stellt fest, dass Caroline fort ist. An ihrer Stelle steht Nora Callighan dort. Sie hat das Haar zu Zöpfen geflochten, auf der Nase hat sie einen Tupfer weiße Sonnencreme, sie trägt Carolines gelbe Turnschuhe und Carolines Medaillon – das mit dem winzigen Bild von Paul McCartney darin -, aber es sind Noras grüne Augen, die sie voll tief empfundenem, erwachsenem Mitgefühl betrachten. Jessie erinnert sich plötzlich, dass Will – zweifellos von seinen Kumpels angetrieben, die ebenso von Cola und Milchschokolade angetörnt sind wie Will selbst – sich hinter ihr anschleicht und sich anschickt, sie zu necken. Sie wird völlig übertrieben reagieren, wenn er das macht, sich umdrehen und ihm auf den Mund schlagen, die Party vielleicht nicht völlig verderben, aber auf jeden Fall Sand ins Getriebe ihres perfekten Ablaufs streuen. Sie versucht, den Schläger loszulassen, weil sie sich aufrichten und umdrehen will, ehe es geschehen kann. Sie will die Vergangenheit verändern, aber die Vergangenheit ist träge – der Versuch, stellt sie fest, ist so, als wollte man das ganze Haus an einer Ecke hochheben, damit man nachsehen kann, was alles
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