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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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zu lange mit einem verheiratet. Wir wissen beide, dass es bei der Sache mit den Handschellen nie um mich gegangen ist. Es ging um dich … damit du deinen alten, alkoholbetäubten Johannes aufwecken konntest, um ganz ehrlich zu sein. Deine verkorkste Version weiblicher Psychologie kannst du dir sparen, okay?
    Gerald lächelt auf eine wissende, nervtötende Weise.
    Guter Versuch, Baby. Nicht ins Schwarze, aber trotzdem ein verdammt guter Schuss. Angriff ist die beste Verteidigung, richtig? Ich glaube, das habe ich dir beigebracht. Aber vergiss es. Im Augenblick musst du eine Entscheidung treffen. Entweder du ziehst diese Handschellen an, oder du schwingst den Schläger und bringst mich noch einmal um.
    Sie sieht sich um und merkt voll aufkeimender Panik und Bestürzung, dass jeder bei Wills Party ihre Konfrontation mit diesem nackten (das heißt mit Ausnahme der Brille), übergewichtigen, sexuell erregten Mann verfolgt … und es sind nicht nur ihre Familie und Freunde aus Kindertagen. Mrs. Henderson, die ihre Studienberaterin am College werden wird, steht neben der Schüssel mit dem Punsch; Bobby Hagen, der sie zum Abschlussball begleiten – und sie hinterher auf dem Rücksitz des alten Oldsmobile 88 seines Vaters ficken – wird, steht auf der Veranda neben dem blonden Mädchen aus dem Frauenzentrum Neuworth, deren Eltern sie liebten, aber ihren Bruder vergötterten.
    Barry, denkt Jessie. Sie ist Olivia, und ihr Bruder ist Barry.
    Das blonde Mädchen hört Bobby Hagen zu, sieht aber Jessie an, und ihr Gesicht ist ruhig, aber irgendwie gequält. Sie trägt ein Sweatshirt, auf dem Robert Crumbs Mr. Natural eine Straße entlanghastet. Der Text in der Sprechblase, die aus dem Mund von Mr. Natural kommt, lautet: »Laster ist gut, aber Inzest ist besser.« Hinter Olivia schneidet Kendall Wilson, der Jessie ihre erste Anstellung als Lehrerin verschaffen wird, ein Stück Geburtstagstorte für Mrs. Paige, bei der sie als Kind Klavierunterricht hatte. Mrs. Paige sieht für eine Frau, die vor zwei Jahren beim Apfelpflücken in Corrit’s Orchards in Alfred an einem Herzschlag gestorben ist, bemerkenswert lebendig aus.
    Jessie denkt: Das ist nicht wie träumen; es ist wie ertrinken. Alle, die ich jemals gekannt habe, stehen hier unter diesem unheimlichen nachmittäglichen Sternenhimmel und sehen zu, wie mein nackter Ehemann versucht, mir Handschellen anzulegen, während Marvin Gaye »Can I Get a Witness« singt. Wenn es einen Trost gibt, dann diesen: Es kann unmöglich noch schlimmer kommen.
    Aber es kommt schlimmer. Mrs. Wertz, ihre Lehrerin in der ersten Klasse, fängt an zu lachen. Der alte Mr. Cobb, ihr Gärtner bis er 1964 in Rente ging, lacht mit ihr. Maddy stimmt ein, und Ruth und Olivia mit den vernarbten Brüsten. Kendall Wilson und Bobby Hagen biegen sich fast vor Lachen und klopfen sich auf den Rücken wie Männer, die den größten Knüller von dreckigem Witz im hiesigen Friseurladen gehört haben. Vielleicht den, dessen Gag in Ein Lebenserhaltungssystem für eine Fotze besteht.
    Jessie sieht an sich hinab und stellt fest, dass sie jetzt auch nackt ist. Mit einem Lippenstift der Farbe, die Peppermint Yum-Yum genannt wird, sind zwei Worte der Verdammnis auf ihre Brust geschrieben: PAPAS LIEBLING.
    Ich muss aufwachen, denkt sie. Wenn nicht, sterbe ich vor Scham.
    Aber sie wacht nicht auf, jedenfalls nicht gleich. Sie sieht auf und stellt fest, dass Geralds wissendes, nervtötendes Lächeln zu einer klaffenden Wunde geworden ist. Plötzlich kommt die blutige Schnauze des streunenden Hundes zwischen seinen Zähnen hervor. Der Hund grinst ebenfalls, und zwischen seinen Zähnen ragt der Kopf ihres Vaters wie beim Beginn eines obszönen Geburtsvorgangs heraus. Seine Augen, die immer strahlend blau gewesen sind, wirken jetzt grau und gequält über dem Grinsen. Es sind Olivias Augen, stellt sie fest, und dann fällt ihr noch etwas auf: Der schale Mineraliengeruch von Seewasser, so fad und doch so grässlich, ist überall.
    »I love too hard, my friends sometimes say«, singt ihr Vater aus dem Maul des Hundes, das im Mund ihres Mannes ist. »But I believe, I believe, that a woman should be loved that way …«
    Sie wirft den Schläger fort und läuft schreiend weg. Als sie an dem grässlichen Geschöpf mit seiner bizarren Kette von Köpfen vorbeikommt, schlingt ihr Gerald eine der Handschellen ums Gelenk.
    Ich hab dich!, ruft er triumphierend. Ich hab dich, stolze Schöne mein!
    Zuerst denkt sie, die Sonnenfinsternis kann

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