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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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erleben musste, als sie sah, wie der Streuner sich an Gerald gütlich tat – in der vollkommenen Stille des Geschöpfs begründet lag. Es war hereingekrochen, während sie schlief, und stand nun einfach in der Ecke, getarnt von Ebbe und Flut der Schatten auf Gesicht und Körper, und sah sie mit seinen seltsam leeren schwarzen Augen an – so große und starre Augen, dass sie an die Höhlen in einem Totenschädel denken musste.
    Ihr Besucher stand nur in der Ecke; nur das, sonst nichts.
    Sie lag in ihren Handschellen mit über den Kopf gestreckten Armen da und kam sich vor wie eine Frau auf dem Grund eines tiefen Brunnens. Zeit verging, die nur vom idiotischen Blinken einer Uhr gemessen wurde, welche verkündete, dass es zwölf, zwölf, zwölf war, und schließlich stahl sich ein zusammenhängender Gedanke in ihr Gehirn, der gefährlich und unendlich tröstlich zugleich zu sein schien.
    Außer dir ist niemand hier, Jessie. Der Mann in der Ecke da ist eine Mischung aus Schatten und Einbildung – mehr nicht.
    Sie mühte sich wieder in eine sitzende Haltung, zog mit den Armen, verzerrte das Gesicht wegen der Schmerzen in ihren überlasteten Schultern, stützte sich mit den Füßen ab, versuchte die bloßen Fersen auf die Decke zu stemmen und atmete vor Anstrengung in kurzen, keuchenden Stößen … und dabei nahm sie keinen Blick von dem wüst verzerrten Schatten in der Ecke.
    Er ist zu groß und dünn für einen Menschen, Jess, das siehst du doch auch, oder? Er ist nur Wind und Schatten, eine Ausgeburt des Mondlichts … und ein paar Überbleibsel aus deinem Alptraum, denke ich mir. Okay?
    Fast. Sie entspannte sich langsam. Dann stieß der Hund draußen wieder ein hysterisches Bellen aus. Und drehte die Gestalt in der Ecke – die Gestalt, die nur Wind, Schatten, eine Ausgeburt des Mondlichts war -, drehte diese nichtexistierende Gestalt nicht leicht den Kopf in diese Richtung?
    Nein, gewiss nicht. Das war sicher auch nur eine Sinnestäuschung von Wind und Dunkelheit und Schatten.
    Das konnte sein; sie war sich fast sicher, dass das – das Kopfdrehen – eine Illusion gewesen war. Aber der Rest? Die Gestalt selbst? Sie konnte sich nicht völlig überzeugen, dass alles Einbildung war. Eine Gestalt, die so sehr menschenähnlich aussah, konnte unmöglich nur eine Illusion sein … oder?
    Plötzlich meldete sich Goodwife Burlingame zu Wort, und obwohl ihre Stimme ängstlich klang, schwang keine Hysterie darin mit, jedenfalls noch nicht; seltsamerweise war es der Ruth-Teil in ihr, der das größte Grauen angesichts der Vorstellung empfand, sie könnte nicht allein im Zimmer sein, und dieser Ruth-Teil war immer noch nahe dran zu schlottern.
    Wenn dieses Ding nicht real ist, sagte Goody, warum ist der Hund dann überhaupt geflohen? Ich glaube, das hätte er nicht ohne guten Grund gemacht, du nicht?
    Ihr war klar, dass Goody dennoch große Angst hatte, und sich nach einer Erklärung für den Abgang des Hundes sehnte, die nichts mit der Gestalt zu tun hatte, welche Jessie in der Ecke sah oder sich zumindest einbildete, dass sie sie sah. Goody flehte sie an zu sagen, dass die erste Erklärung, wonach der Hund gegangen war, weil er sich in einem Haus nicht mehr wohlfühlte, wahrscheinlicher war. Vielleicht, überlegte sie, war er aber auch aus dem ältesten aller Gründe gegangen: Er hatte eine Artgenossin gerochen, eine läufige Hündin. Sie hielt es sogar für denkbar, dass der Hund von einem Geräusch erschreckt worden war – einem Ast, der ans Fenster schlug, zum Beispiel. Das gefiel ihr am besten, weil es eine Art rudimentärer Gerechtigkeit andeutete: Der Hund war ebenfalls von einem imaginären Eindringling erschreckt worden und wollte diesen nichtexistierenden Neuankömmling mit seinem Bellen von seiner Pariasmahlzeit vertreiben.
    Ja, sag eines davon, flehte Goody sie an, und selbst, wenn du es nicht glauben kannst, sieh zu, dass du es mir glaubhaft machst.
    Aber sie glaubte nicht, dass sie das konnte, und der Grund dafür stand in der Ecke neben dem Schreibtisch. Es war jemand da. Keine Halluzination aus Mondlicht, keine Mischung aus windgepeitschten Schatten und ihrer Einbildung, kein Überbleibsel aus ihrem Traum, ein flüchtiges Phantom im Niemandsland der Wahrnehmung zwischen Schlafen und Wachen. Es war ein
    (Monster, es ist ein Monster, ein Schreckgespenst, das gekommen ist, um mich zu fressen)
    Mann, kein Monster, sondern ein Mann, der reglos dastand und sie beobachtete, während der Wind in Böen wehte und das

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