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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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hierhergefahren kam und sie rettete – wollte sie schlafen.
    Es war niemand hier, Jessie – das weißt du, oder nicht?
    Es war, Absurdität aller Absurditäten, Ruths Stimme. Die hartgesottene Ruth, deren eingeschriebener Wahlspruch, aus einem alten Song von Nancy Sinatra, lautete: »One of these days these boots are gonna walk all over you – Eines Tages werden diese Stiefel über dich hinwegtrampeln.« Ruth, die der Schemen im Mondlicht zu einem Haufen stammelndem Glibber gemacht hatte.
    Nur zu, Süße, sagte Ruth. Mach dich nur über mich lustig – vielleicht habe ich es sogar verdient -, aber mach dir selbst nichts vor. Es war niemand da. Deine Fantasie hat dir einen kleinen Streich gespielt, das ist alles. Mehr war nicht dran an der ganzen Sache.
    Du irrst dich, Ruth, antwortete Goody ruhig. Es war jemand hier, das stimmt, und Jessie und ich wissen beide, wer es war. Es hat nicht gerade wie Daddy ausgesehen, aber das lag nur daran, dass er sein Sonnenfinsternis-Gesicht aufgesetzt hatte. Aber das Gesicht war nicht das Wesentliche, auch nicht, wie groß er ausgesehen hat – vielleicht hat er Stiefel mit besonders hohen Sohlen angehabt, vielleicht trug er Schuhe mit Einlagen. Meinethalben hätte er auch auf Stelzen stehen können.
    Stelzen!, rief Ruth erstaunt. O lieber Gott, jetzt habe ich allllles gehört! Unwichtig, dass der Mann gestorben ist, bevor Reagans Frack zur Amtseinführung aus der Reinigung zurück war; Tom Mahout war so ungeschickt, er hätte eine Versicherung fürs Treppensteigen abschließen müssen. Stelzen? Oh, Baby, du musst mich verarschen!
    Das ist nicht so wichtig, sagte Goody mit einer Art gelassener Verstocktheit. Er war es. Ich kenne diesen Geruch überall – diesen dicken, blutwarmen Geruch. Nicht der Geruch von Austern oder Pennys. Nicht einmal der Geruch von Blut. Der Geruch von …
    Der Gedanke brach ab und driftete davon.
    Jessie schlief.

15
     
     
     
    Sie war aus zwei Gründen am 20. Juli 1963 allein mit ihrem Vater in Sunset Trails. Einer war eine Ausrede für den anderen. Die Ausrede war ihre Behauptung, dass sie immer noch ein bisschen Angst vor Mrs. Gilette hatte, obwohl mindestens fünf Jahre (wahrscheinlich eher sechs) seit dem Zwischenfall mit dem Plätzchen und der Ohrfeige vergangen waren. Der wahre Grund war schlicht und unkompliziert: Sie wollte während eines so besonderen, einmaligen Ereignisses bei ihrem Daddy sein.
    Ihre Mutter hatte es vermutet, und es gefiel ihr nicht, von ihrem Mann und ihrer zehnjährigen Tochter wie eine Schachfigur herumgeschubst zu werden, aber da war das Thema praktisch schon ein fait accompli. Jessie war zuerst zu ihrem Daddy gegangen. Ihr elfter Geburtstag lag immer noch vier Monate entfernt, aber deshalb war sie noch lange nicht dumm.
    Sally Mahouts Vermutung war zutreffend: Jessie hatte eine wissentliche, gründlich durchdachte Kampagne eingefädelt, die es ihr ermöglichte, den Tag der Sonnenfinsternis mit ihrem Vater zu verbringen. Viel später sollte Jessie denken, dass auch das ein Grund dafür war, dass sie den Mund gehalten und niemand gesagt hatte, was sich an dem Tag zutrug; manche – darunter zum Beispiel ihre Mutter – konnten sagen, dass sie kein Recht hatte, sich zu beschweren; dass sie es nicht anders verdient hatte.
    Am Tag vor der Sonnenfinsternis hatte Jessie ihren Vater auf der Veranda vor seinem Zimmer gefunden, wo er eine Taschenbuchausgabe von Profiles in Courage las, während Frau, Sohn und älteste Tochter lachten und unten im See schwammen. Er lächelte ihr zu, als sie sich neben ihn auf den Stuhl setzte, und Jessie lächelte zurück. Sie hatte sich für dieses Gespräch den Mund mit Lippenstift bemalt – Peppermint Yum-Yum, ein Geburtstagsgeschenk von Maddy. Jessie hatte ihn nicht gemocht, als sie ihn zum ersten Mal aufgetragen hatte – sie fand, es war eine Babyfarbe und schmeckte wie Pepsodent -, aber Daddy hatte gesagt, dass er sie hübsch fand, und damit wurde der Lippenstift zum kostbarsten Stück ihrer winzigen Kosmetiksammlung, das sie achtete und nur bei besonderen Gelegenheiten wie dieser benutzte.
    Er hörte aufmerksam und respektvoll zu, während sie sprach, gab sich aber keine besondere Mühe, das Funkeln amüsierter Skepsis in seinen Augen zu verbergen. »Willst du mir wirklich weismachen, dass du noch Angst vor Adrienne Gilette hast?«, fragte er, als sie die häufig erzählte Geschichte geschildert hatte, wie Mrs. Gilette ihr einmal eine Ohrfeige gegeben hatte, als sie nach dem letzten

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