Das Spiel
prustete vor Lachen – der Grillhandschuh kam ihr am komischsten vor -, worauf er sich umdrehte und ebenfalls grinste. Der Gedanke, dass er ihr bei dem Winkel unters Kleid sehen konnte, ging ihr durch den Kopf, aber nur flüchtig. Schließlich war er ihr Vater, kein niedlicher Junge wie Duane Corson von der Bootsanlegestelle.
»Was machst du da?«, kicherte sie. »Ich habe gedacht, wir essen Hamburger, und nicht Glassandwiches!«
»Sonnenfinsternis-Ferngläser, Punkin, nicht Sandwiches«, sagte er. »Wenn du zwei oder drei übereinanderlegst, kannst du die ganze Sonnenfinsternis beobachten, ohne dass deine Augen darunter leiden. Ich habe gelesen, man muss ziemlich vorsichtig sein; man kann sich die Netzhäute verbrennen und merkt es erst später.«
»Bäh!«, sagte Jessie und erschauerte ein wenig. Die Vorstellung, sich zu verbrennen, ohne es zu bemerken, kam ihr unwahrscheinlich schlimm vor. »Wie lange dauert denn die totale Finsternis, Daddy?«
»Nicht lange. Eine Minute oder so.«
»Dann mach noch ein paar von diesen Glasdingern – ich will mir meine Augen nicht verbrennen. Ein Eklipse-Burger oder zwei?«
»Einer genügt. Wenn es ein großer ist.«
»Okay.«
Sie drehte sich um.
»Punkin?«
Sie sah ihn an, ein kleiner, kompakter Mann, dem winzige Schweißperlen auf der Stirn standen, ein Mann mit so wenig Körperhaar wie der Mann, den sie später heiraten sollte, aber ohne Geralds dicke Brille oder seinen Bauch, und einen Augenblick schien ihr die Tatsache, dass er ihr Vater war, das Unwichtigste an diesem Mann zu sein. Sie stellte wieder fassungslos fest, wie hübsch er war und wie jung er aussah. Während sie ihn betrachtete, rollte langsam eine Schweißperle an seinem Bauch vorbei, direkt östlich des Nabels, und erzeugte einen dunklen Fleck auf dem elastischen Bund der Yale-Shorts. Sie sah ihm wieder ins Gesicht und wurde sich plötzlich überdeutlich bewusst, wie er sie betrachtete. Seine Augen waren absolut atemberaubend, obwohl er sie wegen des Rauchs zugekniffen hatte – das strahlende Grau eines Tagesanbruchs über winterlichem Gewässer. Jessie merkte, dass sie schlucken musste, bevor sie antworten konnte; ihr Hals war trocken. Möglicherweise lag es am beißenden Rauch des Feuers. Möglicherweise auch nicht.
»Ja, Daddy?«
Er sagte eine ganze Weile nichts, sondern sah sie nur weiter an, während ihm der Schweiß langsam über Wangen und Stirn und Brust und Bauch rann, und Jessie bekam es plötzlich mit der Angst zu tun. Dann lächelte er wieder, und alles war gut.
»Du siehst heute sehr hübsch aus, Punkin. Falls es sich nicht zu albern anhört, du siehst wunderschön aus.«
»Danke – das hört sich überhaupt nicht albern an.«
Wirklich nicht. Seine Bemerkung freute sie sogar so sehr (besonders nach den wütenden Bemerkungen ihrer Mutter am Abend zuvor, oder gerade deshalb), dass sie einen Kloß im Hals hatte und ihr einen Moment nach Weinen zumute war. Aber stattdessen lächelte sie, machte einen Hofknicks in seine Richtung und eilte dann zum Grill zurück, während ihr Herz einen anhaltenden Trommelwirbel in der Brust vollführte. Ein Vorwurf ihrer Mutter, der schlimmste, wollte sich in ihrem Denken breitmachen
(benimmst du dich als wäre sie deine)
aber sie zerquetschte ihn so schnell und skrupellos, wie sie eine übellaunige Wespe zerquetscht hätte. Dennoch fühlte sie sich im Griff eines dieser merkwürdigen Erwachsenengefühle – Eiscreme mit Bratensoße, Brathuhn mit Obstfüllung – und konnte ihm nicht ganz entkommen. Sie war sich auch gar nicht sicher, ob sie es überhaupt wollte. In Gedanken sah sie den einzelnen Schweißtropfen träge seinen Bauch hinabrinnen, bis er vom weichen Stoff der Baumwollshorts aufgefangen wurde und einen dunklen Fleck erzeugte. Von diesem Bild schien ihre Gefühlsaufwallung auszugehen. Sie sah es immer und immer und immer wieder vor sich. Irre.
Na und? Es war ein irrer Tag, das war alles. Sogar die Sonne würde etwas Irres machen. Warum konnte man es nicht dabei belassen?
Ja, stimmte die Stimme zu, die sich eines Tages als Ruth Neary verkleiden sollte. Warum nicht?
Die Eklipse-Burger mit gedünsteten Champignons und milden roten Zwiebeln waren rundherum großartig. »Auf jeden Fall besser als die letzten, die deine Mutter gemacht hat«, sagte ihr Vater zu ihr, und Jessie kicherte unbeherrscht. Sie aßen auf der Veranda vor Tom Mahouts Zimmer, wo sie Metalltabletts auf den Schenkeln balancierten. Zwischen ihnen stand ein runder Tisch voll
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