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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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will hier bei dir bleiben? Prima. Es wäre sowieso keine Freude, sie dabeizuhaben; sie würde sowieso nur mit ihrer Schwester streiten und dauernd jammern, weil sie auf Will aufpassen muss. Mit anderen Worten, sie würde nicht gut fahren.«
    »Sally, Jessie jammert fast nie, und sie ist sehr gut mit …«
    »Ach, du siehst sie ja nie!«, schrie Sally Mahout, und Jessie zuckte angesichts der Abscheu in ihrer Stimme auf dem Stuhl zusammen. »Ich schwöre bei Gott, manchmal benimmst du dich, als wäre sie deine Freundin und nicht deine Tochter!«
    Dieses Mal machte ihr Vater eine lange Pause, und als er weitersprach, war seine Stimme sanft und kalt. »Das war ein elender, unfairer Tiefschlag«, antwortete er schließlich.
    Jessie saß auf der Veranda, betrachtete den Abendstern und spürte, wie ihr Unbehagen langsam zu etwas wie Angst wurde. Sie verspürte plötzlich den Drang, die Hand wieder zu rollen und den Stern anzusehen – dieses Mal, um alles wegzuwünschen, angefangen mit ihrer Bitte an Daddy, er sollte es so einrichten, dass sie morgen mit ihm in Sunset Trails bleiben konnte.
    Dann das Geräusch, als ihre Mutter den Stuhl zurückschob. »Entschuldige«, sagte Sally, und obwohl sie sich immer noch wütend anhörte, dachte Jessie, dass sie jetzt auch ein wenig ängstlich klang: »Dann lass sie morgen eben hier, wenn du willst! Prima! Gut! Kannst sie gerne haben!«
    Dann das Geräusch ihrer Absätze, das sich hastig entfernte, und einen Moment später das Klicken des Zippo-Feuerzeugs ihres Vaters, als dieser sich seine Zigarette anzündete.
    Auf der Veranda schossen Jessie warme Tränen in die Augen – Tränen der Scham, Gekränktheit und Erleichterung, dass der Streit aufgehört hatte, bevor er noch schlimmer werden konnte … denn war nicht ihr ebenso wie Maddy aufgefallen, dass die Streits ihrer Eltern in letzter Zeit immer lauter und wütender geworden waren? Dass die Kälte danach immer langsamer taute? Es war doch nicht möglich, dass sie.…
    Nein, unterbrach sie sich selbst, ehe sie den Gedanken zu Ende denken konnte. Nein, ist es nicht. Es ist nicht möglich, also hör auf damit.
    Vielleicht würde ein Tapetenwechsel sie auf andere Gedanken bringen. Jessie stand auf, ging die Verandastufen hinunter und schlenderte den Weg zum See entlang. Dort saß sie und warf Steine ins Wasser, bis ihr Vater sie eine halbe Stunde später fand.
    »Eklipse-Burger für zwei – morgen auf der Veranda«, sagte er und gab ihr einen Kuss auf den Hals. Er hatte sich rasiert, und sein Kinn war glatt, aber das köstliche Kribbeln lief ihr trotzdem über den Rücken. »Es ist alles abgemacht.«
    »War sie wütend?«
    »Nee«, sagte ihr Vater fröhlich. »Sie hat gesagt, ihr wäre es so oder so recht, und da du deine Arbeiten diese Woche alle erledigt hast …«
    Sie hatte ihre vorherige Ahnung vergessen, dass er mehr über die Akustik des Wohn-/Esszimmers wusste, als er zugeben wollte, und diese wohlmeinende Lüge rührte sie so sehr, dass sie fast in Tränen ausbrach. Sie drehte sich zu ihm um, legte ihm die Arme um den Hals und bedeckte seine Wangen und Lippen mit innigen Küssen. Seine erste Reaktion war Überraschung. Er zog die Hände zurück und berührte dabei einen kurzen Augenblick die winzigen Wölbungen ihrer Brüste. Das Kribbeln lief wieder durch sie, aber dieses Mal war es viel stärker – so stark, dass es fast schmerzhaft war, wie ein Stromschlag -, und in dessen Kielwasser kam wie ein unheimliches Déjà-vu- Erlebnis erneut der Eindruck von den seltsamen Widersprüchlichkeiten der Erwachsenen: eine Welt, wo man Hackfleisch mit Blaubeeren oder in Zitronensaft gebratene Eier bestellen konnte, wenn man wollte … und wo manche Menschen das tatsächlich machten. Dann glitten seine Hände ganz um sie herum, wurden fest gegen die Schulterblätter gedrückt und zogen sie warm an ihn, und ihr fiel kaum auf, dass sie einen Augenblick länger als erforderlich geblieben waren, wo sie nichts zu suchen hatten.
    »Ich hab dich lieb, Daddy.«
    »Ich hab dich auch lieb, Punkin. Hundert Millionen Mal.«

16
     
     
     
    Der Tag der Sonnenfinsternis dämmerte heiß und schwül herauf, war aber relativ klar – die Warnungen der Wettervorhersage, dass tief hängende Wolken das Schauspiel verbergen könnten, erwiesen sich, so schien es, zumindest im Westen von Maine als unbegründet.
    Sally, Maddy und Will brachen gegen zehn Uhr zum Bus der Dark-Score-Sonnenanbeter auf (Sally gab Jessie kurz vor dem Aufbruch einen flüchtigen,

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