Das Spiel
Gewürzen, Papptellern und Zubehör zum Beobachten der Sonnenfinsternis. Zur optischen Ausrüstung gehörten Polaroidbrillen, zwei selbst gebastelte Reflektorboxen aus Pappkarton, wie sie der Rest der Familie mit zum Mount Washington genommen hatte, gerußte Glasscheiben und ein Stapel Topflappen aus der Schublade neben dem Küchenherd. Die Glasscheiben waren nicht mehr heiß, erklärte Tom seiner Tochter, aber er konnte nicht besonders gut mit dem Glasschneider umgehen und hatte Angst, es könnten noch Splitter oder scharfe Kanten an den Rändern von einigen Scheiben sein.
»Ich will auf keinen Fall«, sagte er ihr, »dass deine Mutter nach Hause kommt und einen Zettel findet, auf dem steht, dass ich dich zur Notaufnahme des Oxford Hills Hospital bringen musste, damit sie dir ein paar Finger annähen können.«
»Mama war nicht besonders begeistert von der Idee, oder?«, fragte Jessie.
Ihr Daddy nahm sie kurz in den Arm. »Nein«, sagte er, »aber ich. Ich war begeistert genug für uns beide«. Und er lächelte sie so strahlend an, dass sie einfach zurücklächeln musste.
Als der Zeitpunkt der Sonnenfinsternis gekommen war – 16.29 EDT – benutzten sie als Erstes die Reflektorboxen. Die Sonne, die in der Mitte von Jessies Reflektorbox lag, war nicht größer als ein Kronkorken, aber so grell, dass sie eine Sonnenbrille vom Tisch holte und aufzog. Laut ihrer Timex hätte die Sonnenfinsternis schon angefangen haben sollen – die zeigte 16.30 an.
»Ich glaube, meine Uhr geht vor«, sagte sie nervös. »Entweder das, oder eine Menge Astronomen rund um die Welt stehen jetzt ganz schön blöd da.«
»Schau nochmal rein«, sagte Tom lächelnd.
Als sie wieder in die Reflektorbox sah, stellte sie fest, dass der Kreis kein perfekter Kreis mehr war; eine dunkle Sichel drückte die rechte Seite ein. Ein Schauer lief ihr über den Nacken. Tom, der sie beobachtet hatte, und nicht das Bild in seiner Reflektorbox, sah es.
»Punkin? Alles in Ordnung?«
»Ja, aber … es ist doch ein bisschen beängstigend, was?«
»Ja«, sagte er. Sie sah ihn an und stellte zu ihrer großen Erleichterung fest, dass er es ernst meinte. Er sah fast so ängstlich aus, wie ihr zumute war, was sein einnehmend jungenhaftes Aussehen noch betonte. Der Gedanke, dass sie vor verschiedenen Dingen Angst haben könnten, kam ihr nicht. »Möchtest du auf meinem Schoß sitzen, Jess?«
»Darf ich?«
»Klar doch.«
Sie rutschte auf seinen Schoß, ohne die Reflektorbox loszulassen. Sie wackelte hin und her, bis sie bequem saß, und genoss den Geruch seiner leicht verschwitzten, sonnengewärmten Haut und die leichte Spur seines Rasierwassers – Redwood hieß es, glaubte sie. Das Sommerkleid rutschte ihr an den Schenkeln hoch (etwas anderes konnte es auch schwerlich machen, so kurz wie es war), und sie merkte es kaum, als er seine Hand auf eines ihrer Beine legte. Schließlich war er ihr Vater – Daddy - und nicht Duane Corson vom Bootsanlegeplatz oder Richie Ashlocke, der Junge, wegen dem sie mit ihren Schulfreundinnen stöhnte und kicherte.
Die Minuten verstrichen langsam. Ab und zu rutschte sie herum und versuchte, es sich bequem zu machen – sein Schoß schien heute Nachmittag merkwürdig kantig zu sein -, und einmal musste sie drei oder vier Minuten eingedöst sein. Es konnte sogar noch länger gewesen sein, denn der Windhauch, der über die Veranda wehte, war überraschend kalt auf ihren verschwitzten Armen, und der Nachmittag hatte sich irgendwie verändert; Farben, die grell gewesen waren, bevor sie sich an seine Schulter gelehnt hatte, wirkten jetzt blass und pastellgetönt, und das Licht selbst war irgendwie schwächer geworden. Es war, dachte sie, als wäre der Tag durch ein Küchenhandtuch gepresst worden. Sie sah in ihre Reflektorbox und war überrascht – beinahe erschrocken -, dass jetzt nur noch die halbe Sonne da war. Sie sah auf die Uhr und stellte fest, dass es neun Minuten nach fünf war.
»Es passiert, Daddy! Die Sonne geht aus!«
»Ja«, stimmte er zu. Seine Stimme klang seltsam – oberflächlich beherrscht und nachdenklich, aber darunter irgendwie gepresst. »Pünktlich auf die Minute.«
Sie stellte vage fest, dass seine Hand auf ihrem Bein höher gerutscht war, während sie döste – sogar ein ganzes Stück höher.
»Kann ich schon durch das Rußglas sehen, Dad?«
»Noch nicht«, sagte er, während seine Hand noch weiter an ihrem Schenkel hinaufrutschte. Sie war warm und verschwitzt, aber nicht unangenehm. Sie legte
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