Das Spiel
ihre eigene Hand auf seine, drehte sich zu ihm um und grinste.
»Aufregend, nicht?«
»Ja«, sagte er im selben gepressten Tonfall. »Das ist es, Punkin. Sogar mehr, als ich gedacht habe.«
Mehr Zeit verging. In der Reflektorbox knabberte der Mond weiter an der Sonne, während es fünfundzwanzig nach fünf wurde, dann halb sechs. Fast ihre gesamte Aufmerksamkeit war jetzt auf das abnehmende Bild in der Reflektorbox gerichtet, aber ein entfernter Teil von ihr wunderte sich wieder darüber, wie seltsam hart sein Schoß heute war. Etwas drückte gegen ihre Kehrseite. Es tat nicht weh, war aber beharrlich. Jessie fand, dass es sich wie der Griff eines Werkzeugs anfühlte – eines Schraubenziehers oder womöglich des Tackers ihrer Mutter.
Jessie rutschte wieder und wollte eine bequemere Stellung auf seinem Schoß finden, worauf Tom rasch und keuchend Luft über die Unterlippe einzog.
»Daddy? Bin ich zu schwer? Habe ich dir wehgetan?«
»Nein. Alles bestens.«
Sie sah auf die Uhr. Sieben nach halb sechs; vier Minuten bis zur totalen Sonnenfinsternis, vielleicht ein bisschen mehr, wenn ihre Uhr vorging.
»Kann ich schon durch das Glas sehen?«
»Noch nicht, Punkin. Aber bald.«
Dank WNCH konnte sie Debbie Reynolds etwas von den Dark Ages singen hören: »The old hooty owl … hooty hoos to the dove … Tammy … Tammy … Tammy’s in love.« Es ertrank schließlich in einem kitschigen Violintusch, dann folgte der Discjockey, der ihnen sagte, dass es dunkel wurde in Ski Town, U. S. A. (damit bezeichneten die Deejays von’NCH fast immer North Conway), aber dass der Himmel auf der New-Hampshire-Seite der Grenze so verhangen war, dass man fast nichts von der Sonnenfinsternis sehen konnte. Der Discjockey sagte ihnen, dass eine Menge enttäuschter Leute mit Sonnenbrillen gegenüber auf dem Gemeindeplatz standen.
»Wir sind keine enttäuschten Leute, Daddy, oder?«
»Kein bisschen«, stimmte er zu und regte sich wieder unter ihr. »Wir sind unter den glücklichsten Leuten im Universum, denke ich.«
Jessie sah wieder in die Reflektorbox und vergaß alles bis auf das winzige Bild, das sie jetzt betrachten konnte, ohne die Augen hinter der dunklen Polaroidbrille schützend zu Schlitzen zusammenzukneifen. Aus der dunklen Sichel rechts, die den Beginn der Eklipse signalisiert hatte, war inzwischen links eine lodernde Sichel aus Sonnenlicht geworden. Diese war so grell, dass sie fast auf der Oberfläche der Reflektorbox zu schweben schien.
»Schau auf den See, Jessie!«
Sie gehorchte, und ihre Augen hinter der Sonnenbrille wurden groß. Sie hatte das schrumpfende Bild in der Reflektorbox so gebannt betrachtet, dass sie überhaupt nicht mitbekommen hatte, was rings um sie herum vor sich ging. Die Pastelltöne waren zu alten Wasserfarben verblasst. Vorzeitige Dämmerung, für das zehnjährige Mädchen faszinierend und furchteinflößend zugleich, senkte sich über den Dark Score Lake. Irgendwo im Wald schrie leise eine alte Heule-Eule, und Jessie spürte, wie sich plötzlich ein heftiges Zittern durch ihren Körper bohrte. Im Radio ging ein Werbespot von Aamco Transmission zu Ende und Marvin Gaye fing an zu singen: »Oww, listen everybody, especially you girls, is it right to be left alone when the one you love is never home?«
Die Eule heulte wieder im Wald nördlich von ihnen. Es war ein beängstigender Laut, stellte Jessie plötzlich fest – ein sehr beängstigender Laut. Als sie dieses Mal erschauerte, legte Tom einen Arm um sie. Jessie lehnte sich dankbar an seine Brust.
»Es ist unheimlich, Dad.«
»Es dauert nicht lang, Liebes, und du wirst wahrscheinlich nie wieder eine sehen. Versuch nur, nicht so ängstlich zu sein, dass du es nicht genießen kannst.«
Sie sah in die Reflektorbox. Da war nichts.
»I love too hard, my friends sometimes say …«
»Dad? Daddy? Sie ist fort. Kann ich …?«
»Ja. Jetzt ist es gut. Aber wenn ich aufhören sage, musst du aufhören. Keine Widerrede, verstanden?«
Sie hatte verstanden. Sie fand die Vorstellung von Netzhautverbrennungen – Verbrennungen, die man offenbar gar nicht bemerkte, bis es zu spät war, etwas dagegen zu unternehmen – viel beängstigender als die Heule-Eule im Wald. Aber sie wollte es auf gar keinen Fall versäumen, nachdem es nun tatsächlich stattfand. Auf gar keinen Fall.
»But I believe«, sang Marvin Gaye mit dem Eifer des Bekehrten. »Yes, I believe … that a woman should be loved that way …«
Tom Mahout gab ihr einen Topflappen, dann
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