Das Spiel
heißt du?«
Wieder dauerte es ziemlich lange, bis er antwortete: »Junge. Mama nennt mich Junge.«
»Und kennst du ihren Namen?«
»Mama. Ma-ma.«
Erneute Stille, während Chaven nachdachte. »Sehr gut. Du bist jetzt ein bisschen älter. Wo wohnst du?«
»In unserm Haus. Nah am Wald.«
»Weißt du, wie er heißt, dieser Wald?«
»Nein. Nur, dass ich da nicht hin darf.«
»Und wenn andere Leute mit deiner Mutter sprechen, wie nennen die sie dann?«
»Gar nicht. Kommt keiner. Nur der Mann aus der Stadt. Er bringt Geld mit. Immer vier Silbermuscheln. Sie mag es, wenn er kommt.«
Chaven drehte sich zu Chert und Opalia um und warf ihnen einen Blick zu, den Chert nicht deuten konnte. »Und wie nennt er sie?«
»Frau, oder Gevatterin. Einmal hat er sie Gute Ziehfrau genannt.«
Chaven seufzte. »Genug damit. Du bist jetzt ...«
»Ihr geht es nicht gut«, unterbrach ihn Flint plötzlich mit bebender Stimme. »Sie sagt, geh nicht nach draußen, und ich tu's nicht. Aber sie schläft, und die Wolken kommen am Boden herbei.«
»Er hat Angst«, sagte Opalia. Chert musste sie zurückhalten und überlegte, noch während er es tat, ob es auch richtig war. »Lass mich los, Alter — hörst du's denn nicht? Flint! Flint, ich bin hier!«
»Ich versichere Euch, gute Frau Meisterin, er kann Euch nicht hören.« Etwas seltsam Hartes lag jetzt in Chavens Stimme — ein Ton, den Chert bei ihm noch nie gehört hatte. »Mein Lehrer Kaspar Dyelos lehrte mich diese Praktik, und ich war ein guter Schüler. Ich versichere Euch, er hört keine Stimme außer der meinen.«
»Aber er hat Angst!«
»Dann müsst Ihr still sein und mich mit ihm reden lassen«, erklärte Chaven. »Junge, hör mir zu.«
»Die Bäume!«, sagte Flint, und seine Stimme wurde jetzt immer lauter. »Die Bäume ... bewegen sich. Sie haben Finger. Sie sind rings ums Haus, und die Wolken sind auch überall!«
»Du bist in Sicherheit«, sagte der Hofarzt. »Dir geschieht nichts, Junge. Nichts, was du siehst, kann dir wehtun.«
»Ich will nicht nach draußen. Mama hat gesagt, ich soll nicht! Aber die Tür ist offen, und die Wolken sind im Haus ...«
»Junge ...«
Flints verzweifelte Worte kamen stoßweise heraus, als würde er rennen.
»Nicht ... das ... will nicht ...« Er schwankte jetzt auf der Bank, so schlaff wie eine Lumpenpuppe, und sein Kopf baumelte hin und her, als ob ihn jemand an den Schultern schüttelte. »Die Augen starren mich alle an. Wo ist meine Mama? Wo ist der Himmel?« Er weinte jetzt. »Wo ist unser Haus?«
»Hört auf!«, schrie Opalia. »Ihr tut ihm weh mit Eurem grässlichen Zauber!«
»Ich versichere Euch«, sagte Chaven, selbst ein wenig atemlos, »dass er sich zwar an beängstigende Dinge erinnern mag, aber deshalb nicht in Gefahr ist ...«
Plötzlich erstarrte Flint auf der Bank. »Er ist nicht mehr in dem Stein«, stieß er heiser flüsternd hervor, als ob ihm kräftige Hände die Kehle zusammendrückten. »Er ist nicht nur im Stein —
er ist ... in ... mir!«
Das Kind verstummte, immer noch steif wie ein Brett.
»Wir sind jetzt fertig, Junge«, sagte Chaven schließlich in das entsetzte Schweigen. »Komm wieder nach Hause. Komm hierher zurück, zu der Kerze und zum Spiegel, komm zurück zu Opalia und Chert.«
Flint sprang so jäh auf, dass er die schwere Bank umstieß. Sie krachte auf Chavens Fuß, und der Hofarzt hüpfte auf einem Bein rückwärts, stieß unverständliche Flüche aus und fiel dann hin.
»Nein!«, schrie Flint, und seine Stimme erfüllte den kleinen Raum und schrillte von den Steinwänden wider. »Das Herz der Königin! Das Herz der Königin! Es ist ein Loch, und er kriecht hindurch ...!«
Dann erschlaffte er und fiel zu Boden wie eine Marionette, deren Schnüre durchtrennt worden waren.
»Er schläft nur«, sagte Chaven sanft und mit einer unausgesprochenen Entschuldigung in der Stimme, aber Opalias Blick hätte Kalkstein zum Bröckeln gebracht. Sie hörte für einen Moment auf, die Stirn des Jungen mit einem nassen Lappen zu betupfen, und wedelte Chaven und ihren Ehemann ärgerlich aus dem Schlafzimmer, so als behinderten sie durch ihre schiere Anwesenheit ihre heilerischen Fähigkeiten — oder, was Chert wahrscheinlicher schien, als würde ihr vom bloßen Anblick zweier so nichtsnutziger Männer übel.
»Ich weiß nicht, was geschehen ist«, sagte Chaven zu Chert, als sie die Bank wieder aufstellten und sich daraufsetzten. Chert goss ihnen je einen Becher Moosbier ein. »Noch nie ...« Er
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