Das Spiel
Schock.«
Aber wer wird sich um mich kümmern?,
fragte sie sich, als sie Merolannas Gemächer verließ.
Wer wird auf mich aufpassen, in diesen verrückten Zeiten, da die alten Geschichten zu unseren Füßen lebendig werden? Zoria, barmherzige Göttin, ich brauche deine Hilfe jetzt mehr denn je.
Selbst Matty Kettelsmit, dem es noch nie leichtgefallen war, Nein zu einer Feier oder einem Festmahl zu sagen, zumal wenn jemand anders die Zeche zahlte, fand das alles ein bisschen übertrieben. Wenn ein feindliches Heer gleich auf der anderen Seite des Buchtarms stand — und noch dazu ein Heer von Monstern und Dämonen —, waren all diese Feste und Jahrmärkte doch wohl zumindest eine ziemliche Verschwendung, oder?
Vielleicht will uns der edle Herr Hendon ja nur von unseren Problemen ablenken.
Wenn ja, hatte er sich ganz schön viel vorgenommen, denn die Probleme waren immens. Die Kreaturen auf der anderen Seite der Bucht hatten die Feste zwar nicht angegriffen, aber sie hatten die überfüllte Burg von allen Versorgungslieferungen aus dem Westen abgeschnitten, und durch den kurzen, schrecklichen Krieg waren auch die Täler im Südwesten und Süden leer und verlassen, sodass kein Vieh und keine Schafe mehr von Marrinswalk und Silverhalden herbeigetrieben wurden und auch keine Wolle und kein Käse mehr aus Settland kamen, nur noch Güter von den Schiffen, die dicht an dicht im Hafen der Südmarksburg lagen wie Treibholz an einer Seemauer.
Trotz alledem gingen die Lustbarkeiten weiter. Heute Abend würden zur Feier des ersten Abends von Gestrimadi, den Festtagen zu Ehren der Göttermutter, Volksbelustigungen auf dem Marktplatz stattfinden, und hier in der Burg waren ein großes Mahl und ein Maskenfest geplant, mit Musik und Tanz.
Und dabei gab es doch wohl keinen düstereren Dimene, seit die Zwielichtler das letzte Mal gegen uns zogen, vor zweihundert Jahren!
Es war seltsam, dachte Kettelsmit, dass ein Ort, an dem es bei Tag so still und ernst zuging wie hier, nachts zu so fiebrigem Leben erwachen konnte — als ob die Gemächer der Burg Grüfte wären, welche die dort Begrabenen nach Sonnenuntergang ausspien, damit sie in einer Parodie auf die Lebenden tanzen und tändeln konnten.
Es war ein starkes Bild, und er dachte plötzlich, dass er es aufschreiben sollte. Das war doch sicher Stoff für ein Gedicht — die Höflinge, die bei Einbruch der Nacht aus ihren steinernen Höhlen krochen, mit Masken, die alles verbargen bis auf die allzu glänzenden Augen ...
Aber das würde Hendon Tolly und seinem Zirkel gar nicht gefallen, und so etwas ist derzeit sehr gefährlich. Ist nicht Vogt Nynor gerade erst verschwunden, nachdem man ihn das Regime der Tollys kritisieren hörte?
Trotzdem, die Idee war zu verlockend. Er befand, dass er das Gedicht ja schreiben und für sich behalten konnte, bis wieder bessere Zeiten kamen, in denen man seine visionäre Gabe erkennen und sein Genie (wenn schon nicht seinen Mut) würdigen würde.
Dichter sind nicht dafür da, gehängt zu werden,
sagte er sich.
Sie sind dafür da, bewundert zu werden. Und selbst wenn ich nur bewundert werden könnte, indem ich gehängt würde, würde ich wohl die Unbekanntheit vorziehen.
Ja, er würde zusehen, dass er am Leben bliebe. Schließlich gab es ja im Moment noch mehr, wofür es sich zu leben lohnte ...
»Oh, höchst wirkungsvoll, Meister Kettelsmit!«, sagte Puzzle anerkennend. Jetzt, da er, wenn auch noch so spöttisch, von Hendon Tollys Leuten adoptiert worden war, hatte sich der alte Hofnarr einen jovialen Ton zugelegt, der Kettelsmit irritierte. Komischerweise war Puzzles runzliges Gesicht gleichzeitig immer trauriger geworden. »Ihr werdet heute Abend manch junges Herz gewinnen, soviel ist sicher.«
Kettelsmit blickte auf seine waldgrüne Hose, die die lästige Neigung hatte, sich zwischen Knöcheln und Schritt zu verdrehen, sodass die Beinnähte eher wie gewundene Bergsträßchen aussahen denn wie schnurgerade königliche Fernstraßen. Die Farben waren ganz hübsch, obwohl kein echter fahrender Sänger je so etwas Pfauenbuntes getragen hätte. Es war ein Festkostüm, das Puzzles totem Freund Robben Hulligan gehört hatte, und als ihn der alte Mann jetzt darin sah, verdrückte er doch tatsächlich ein paar Tränen.
»Er hatte ein hübsches Gesicht und wohlgeformte Beine, mein guter alter Robben.« Puzzle rieb sich die Augen. Er selbst trug zum Maskenfest eine Mantisrobe, die ihm verblüffend gut stand: Sein langes, verdrossenes Gesicht
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