Das Spiel
noch eine Überraschung.«
Zsan-san-sis' Glimmen flackerte kurz, wurde dann stärker. »Ihr habt mehr von einem König, als es Euer Vater hatte und auch der Vater eures Vaters«, sagte er.
»Ich
bin
mein Vater und der Vater meines Vaters«, sagte der blinde König. »Aber ich danke Euch.«
Er ergriff zwar nicht die Hand des alten Anführers — ein Kind des smaragdenen Feuers zu berühren, wäre selbst für einen König sehr unklug gewesen —, nickte aber so langsam, dass es fast schon eine Verneigung hätte sein können. Dann ließ er den überraschten Wächter stehen und betrat die Kammer der Totenwache.
Die Käfer an den Wänden regten sich leise, und die Bewegung ihrer irisierenden Deckflügel sandte kleine Wellen wechselnder Farben durch den ganzen Raum. Dann kamen sie wieder zur Ruhe, und das Schillern von Blau und Blassgrün wich einem erdigeren Ton, der besser das Grau und Pfirsichgelb des wolkenverhangenen Sonnenuntergangs jenseits des großen Fensters reflektierte. Ynnir, seit Jahrhunderten blind, vermochte das Meer so intensiv zu riechen, wie es ein Ertrinkender geschmeckt hätte, und er hoffte, dass seine Schwester-Gemahlin es ebenfalls roch und dass es ihr in dem immer dichter werdenden Dunkel ein wenig Trost spendete.
Er stand neben dem Bett und nahm wahr, wie sie so bleich und still dalag. Es war schon mehrere Monde her, dass es noch möglich gewesen war, sie in der Halle der Spiegel auf den Thron zu setzen wie eine obszöne, schlaffe Puppe. Er war fast schon froh, dass diese demütigenden Zeiten vorbei waren, dass sie inzwischen so tief in sich selbst verschwunden war, dass man sie nicht einmal mehr bewegen konnte.
Während er so stumm und sinnierend neben ihr stand, wurde ihm plötzlich bewusst, dass er gar keine Lebensregung mehr an ihr wahrnahm. Erschrocken suchte er ihre Lippen auszumachen, die jetzt blasser waren denn je, fast schon weiß, und Angst packte ihn. Bisher hatte sie ihn doch immer, selbst an den schlimmsten Tagen, begrüßt, noch ehe er etwas gesagt hatte. Jetzt war sie so still ...
Meine Königin,
rief er ihr zu und formte jedes Wort so deutlich, dass er es im Geist als einen Stein sah, der in einen stillen Tümpel fiel, sodass von den Wellenringen alles, was im Wasser schwamm, auseinanderstob, bis er schließlich auf dem weichen Grund landete.
Kannst du mich hören? Meine Zwillingsschwester?
Trotz allem, was zwischen ihnen gewesen war, dem Guten wie dem Schlechten, tat sein Herz einen Sprung, als er endlich ihre Worte hörte, so leise, als kämen sie tatsächlich aus dem Schlick auf dem Grund eines tiefen Tümpels.
Mein Gemahl?
Ich bin hier, an deinem Bett. Wie geht es dir heute?
Schwächer ... Ich ... kann dich kaum verstehen. Ich habe Yasammez meine Botschaft geschickt.
Sie dachte nicht den Namen selbst, sondern eine schnelle Kombination von Gedanken — Großmutters Grimmige Schöne Schwester mit den Aderlassdornen und dem Rauchigen Blick.
Ich hätte es nicht tun sollen,
erklärte sie ihm, fast schon wie eine Entschuldigung.
Ich hatte nicht die ... Kraft ... aber ich ...
Aus Angst, dass sie den letzten Rest ihrer Musik aufbrauchen könnte, vollendete er schnell ihren Gedanken.
Du wolltest wissen, ob sie erfolgreich war. Und sie hat dir mitgeteilt, dass es ihr gelungen ist.
Deinen Plan zu verwirklichen. Den Pakt zu erfüllen. Aber nicht das zu tun, was ich wollte ...
Was dir nichts eingebracht hätte. Glaub mir, Schwester, Gemahlin. Vieles ist im Lauf der Jahre zwischen uns gewesen, aber niemals Lüge. Und es könnte immer noch sein, dass mein bescheidener Plan, gleich dem verachteten, verkrüppelten Baum im Winkel des Obstgartens, Früchte trägt.
Was würde das ändern? Wir können jetzt nichts mehr tun. Alles, was wir geliebt haben, wird untergehen.
Ihre Gedanken waren so schwer und schwarz, dass er regelrecht fühlte, wie er von ihnen hinabgezogen wurde — wie jemand, der so gebannt von den wirbelnden Wolken unterhalb seines Bergpfades ist, dass er sich zu ihnen hinbeugt und ins Leere stürzt ...
Nein.
Er riss sich los, machte sich von ihr frei.
Die Hoffnung ist alles, was uns noch bleibt, und ich werde sie nicht fahren lassen.
Welche Hoffnung? Für mich? Das ... glaube ich nicht. Und selbst wenn, was geschieht dann mit dir ...?
Er fühlte ihre Belustigung, diese bittere Erheiterung, die ihm im Lauf der Jahrhunderte so oft wie ein langsam wirkendes Gift erschienen war.
Was geschieht dann mit dir, Ynnirit-so?
Ich fordere nichts heraus, was ich nicht ertragen
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