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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
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versuchte, sich von dem heißen Stein aufzurappeln. Der Schmerz in seinem Arm war noch schlimmer als das Brennen der Haut an seinen Händen. Er durfte nicht stehen bleiben, durfte sich nicht ausruhen, ehe er seine Schwester gefunden hatte. Wenn er stehenblieb, würde er sterben, das wusste er ganz sicher. Die Schattenmänner würden ihn von innen auffressen.
    Er stand wieder, musste selbst in seiner Traumwelt den pochenden, schmerzenden Arm halten, dieses Ding, das er durchs Leben schleppte wie ein krankes Kind, geliebt und zugleich gehasst. Er sah sich um. Ein weiter, leerer Raum erstreckte sich nach allen Seiten, dunkel bis auf ein paar schräge Lichtkegel, die durch die hohen Fenster fielen — die Gemäldehalle, und sie war leer, bis auf ihn, das fühlte er. Die Gesichtslosen hatten ihn noch nicht erwischt, aber er roch Rauch und spürte ihre nahenden Geräusche. Er durfte hier nicht stehen bleiben.
    Ein Bild hing vor ihm, eines, das er schon öfter gesehen, aber nie groß beachtet hatte — irgendeine frühere Königin, deren Namen er nicht mehr wusste. Briony würde ihn wissen, sie wusste solche Dinge immer, seine geliebte, angeberische Schwester. Aber etwas an den Augen, am Haar dieser Frau hielt seinen Blick fest ...
    Die Geräusche seiner Verfolger wurden immer lauter, bis es klang, als wären sie direkt vor der Tür der Gemäldehalle, aber er stand wie angewurzelt da, denn es war nicht das Gesicht irgendeiner Eddon-Vorfahrin, das da hing, das Gesicht irgendeiner längst verstorbenen Königin von Südmark — es war sein eigenes, verzerrt von Angst und Grauen.
    Ein Spiegel,
dachte er.
Es war schon die ganze Zeit ein Spiegel.
Wie oft war er hier vorbeigegangen, an den Reihen tadelnd herabblickender Vorfahren, ohne je zu merken, dass da mitten in der Halle ein Spiegel hing?
    Oder ist es ein Bild ... von mir ...?
Er starrte in die gehetzten, verstörten Augen des schweißüberströmten, rothaarigen Jungen. Der Junge starrte zurück. Dann trübte sich der Spiegel, als ob sich Wolken an der Oberfläche bildeten, als ob er ihn selbst aus dieser Entfernung mit seinem heißen, panischen Atem bedampfte.
    Die Wolken wurden dünner, lösten sich dann ganz auf. Jetzt war es Briony, die ihn ansah. Sie trug ein seltsames, weißes Kapuzengewand, das er noch nie gesehen hatte, etwas, das eher eine Zorienschwester tragen würde als eine Prinzessin, aber er kannte ihr Gesicht besser als sein eigenes — viel besser. Sie war unglücklich, auf eine stille, aber sehr tief gehende Art — derselbe Ausdruck wie an jenem Tag, als sie erfahren hatten, dass ihr Vater verraten und gefangen genommen worden war.
    »Briony!«, rief er jetzt laut. »Hier bin ich!«
    Er konnte sie nicht berühren, und er wusste, sie hörte ihn nicht, aber er hoffte, dass sie ihn vielleicht wenigstens spürte. Es war wunderbar, sie zu sehen, und es war grausam, weil er nicht mehr von ihr haben konnte. Doch allein schon der Anblick dieses unendlich vertrauten Briony-Gesichts erinnerte ihn daran, wer er war:
Barrick.
Er war Barrick Eddon, was auch immer ihm widerfahren war, wo auch immer er sich befand. Selbst wenn er das alles geträumt hatte — selbst wenn er im Sterben lag und es alles nur ein seltsames Trugbild gewesen war, das die Götter für ihn an der Schwelle zur nächsten Welt errichtet hatten — er wusste jetzt wieder, wer er war.
    »Briony«, sagte er, aber leiser diesmal, während die Wolken sich wieder über den Spiegel legten. Kurz bevor das Bild ganz verschwand, meinte er noch, ein anderes Gesicht zu sehen, ein völlig fremdes Gesicht, ein Mädchen mit einer roten Strähne im schwarzen Haar, so rot wie sein eigener Schopf. Er verstand überhaupt nichts mehr — wie konnte da, wo eben noch das vertrauteste aller Gesichter gewesen war, plötzlich eins sein, das er noch nie gesehen hatte ...?
    »Was machst du in meinen Träumen?«, sagte das Mädchen überrascht, und diese Worte fielen in seinen Kopf wie kühlender Regen.
    Dann war auch das schwarzhaarige Mädchen weg, und mit ihm fast alles andere — die gesichtslosen Männer, die Gemäldehalle, die Flammen der schrecklichen Feuersbrunst, das alles wurde so durchsichtig wie nasses Papier, und die Burg selbst verschwand ...
    Als die Panik ihren Griff etwas lockerte, war er verdutzt, erschrocken, verwirrt und sogar ein bisschen erregt — dieses unbekannte Gesicht zu sehen hatte sich angefühlt wie Wasser in einem ausgedörrten Mund. Doch er ließ dieses Bild erst einmal los, um das

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