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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
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kann. Und Yasammez hat den Spiegel ihrem verlässlichsten und treusten Diener Gyir mitgegeben.
    Dem Verhüllten? Aber der ist doch noch so jung an Jahren ...!
    Er wird ihn uns bringen. Er wird sich durch nichts aufhalten lassen — er weiß um die Wichtigkeit. Verzage nicht, meine Königin. Geh noch nicht hinab ins Dunkel. Noch kann sich alles ändern.
    Alles ändert sich ständig,
erklärte sie.
Das ist nun mal die Natur der Dinge ...
Doch sie entglitt jetzt, müde und jenes tieferen Dunkels bedürftig, das ihr Schlaf war, der Tage anhalten konnte. Eine letzte Blase bitterer Erheiterung stieg zu ihm empor.
Alles ändert sich immerzu, aber nicht zum Besseren. Sind wir nicht das
Volk,
und ist das nicht der Kern unserer gesamten Geschichte?
    Dann war ihr Denken ganz verstummt, und er war allein mit ihrer stummen, schlafenden Hülle. Die Käfer an den Wänden bewegten sich erneut, ein leises Spreizen und Wiedereinklappen von Flügeln, das sonnenuntergangsfarbenes Licht durch die ganze Kammer schillern ließ, bis auch diese Wesen sich wieder in den Schlaf zurückzogen.

    Sie waren wieder da.
    Die dunklen Männer, die Gesichtslosen, verfolgten ihn wieder durch brennende Gänge und Hallen, huschten aus den flackernden Schatten hervor und tauchten wieder darin unter, als ob sie selbst nur Schatten wären. War es wieder so ein böser Fiebertraum? Warum konnte er nicht aufwachen?
    Wo bin ich?
Die Wandteppiche schwelten von den Rändern her.
Die Südmarksburg.
Er kannte ihre Gänge so genau, wie er das Rauschen seines Bluts in seinen Adern kannte. War dann alles andere nur ein Traum gewesen? Diese endlosen Stunden in den triefenden Wäldern jenseits der Schattengrenze? Gyir und Vansen und dieser brüllende, einäugige Riese — alles nur eine Fieberphantasie?
    Er rannte keuchend und schwerfällig dahin, und die gesichtslosen Männer quollen hinter ihm her wie etwas Geschmolzenes, verloren ihre Körperform, wenn sie um Ecken flössen und die Wände entlangrannen, nur um dann wieder Form anzunehmen, ein Dutzend Gestalten zu werden, und hinter ihm herzujagen, Köpfe, die jeder seiner Bewegungen folgten, Finger, die sich nach ihm ausstreckten. Doch während er um sein Leben rannte, während die Wandteppiche in Flammen aufgingen und jetzt sogar schon die Deckenbalken schwelten, fühlte er plötzlich, wie seine Gedanken frei dahinschwebten, so schwerelos wie die Ascheflöckchen, die um ihn herum im heißen Luftzug wirbelten.
    Wer bin ich? Was bin ich?
    Er löste sich auf, zerfiel wie eine Kori-Puppe in einem Erilsnachtfeuer, seine Gliedmaßen in sinnloser Bewegung, sein Kopf ein Ding aus Stroh, zundertrocken und Funken sprühend.
    Wer bin ich? Was bin ich?
    Etwas zum Festhalten — er brauchte etwas Steinkühles, Knochenhartes, etwas Reales, damit er nicht in Stücke zerfiel. Er rannte, und es war, als würde er mit jedem Schritt kleiner. Er verlor sich; alles, was ihn ausmachte, verkohlte und verschwand. Das Sausen und die dumpfen Schritte seiner gesichtslosen Verfolger hallten in seinem Kopf, als hörte er sein eigenes Blut durch die Kloaken seines Körpers rauschen, sein dreckiges, verdorbenes Blut.
    Ich bin wie Vater — schlimmer. In mir brennt es — es verbrennt mich!
    Und es schmerzte wie das Schlimmste, was er sich vorstellen konnte, wie Nadeln unter seiner Haut, wie weißglühendes Metall in seinem Mark, und es verlagerte sich bei jeder Bewegung, jagte Schmerzblitze von Gelenk zu Gelenk, schoss in seinen Kopf wie Feuer aus einem Kanonenrohr. Er wollte dem nur entkommen, aber wie? Wie konnte man seinem eigenen Blut davonlaufen?
    Briony.
Wenn auch die Südmarksburg nicht mehr sein Zuhause war, wenn ihre Gänge voller Feuer und wütender Schatten waren und die Ahnengalerien voller grinsender, fremder Gesichter — mit seiner Schwester war das anders. Sie würde ihm helfen. Sie würde ihn festhalten, sich an ihn erinnern, ihn kennen. Sie würde ihn bei seinem Namen nennen — das fehlte ihm so sehr! — und ihre kühle Hand auf seine Stirn legen, und dann würde er schlafen. Wenn er nur Briony fand, dann würden ihn die gesichtslosen Männer nicht kriegen — sie würden aufgeben und in die Schatten zurückwieseln, -rinnen, -gleiten, wenigstens für eine Weile. Briony. Seine Zwillingsschwester. Wo war sie?
    »Briony!«, rief er und schrie dann: »Briony! Hilf mir!«
    Er stolperte, fiel, Schmerz durchzuckte ihn, als er mit dem verkrüppelten Arm aufschlug — wie konnte das ein Traum sein, wenn es sich so real anfühlte? Er

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