Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
ein zweiköpfiges Ungeheuer auf einem alten Wandgemälde, und Vansen schlug unwillkürlich das Zeichen der Drei, aber wenn diese Anrufung der wahren Götter Gyir erzürnte, so ließ er es sich nicht anmerken.
    »Wohin reiten wir eigentlich, Hoheit?« fragte Vansen matt. Er hatte auf dieser Reise schon lange nicht mehr das Kommando — es war sinnlos, das verbergen zu wollen.
    »Dahin«, sagte Barrick und zeigte mit dem Finger in die betreffende Richtung. »Zum Hohen M'aarenol.«
    Wie der Prinz in diesem verwirrenden Dauerzwielicht irgendeine fremde Landmarke ansteuern konnte, ging über Ferras Vansens Verstand. Gyir richtete jetzt seine glutroten Augen auf ihn, und einen Augenblick lang glaubte er schon fast, eine Stimme in seinem Kopf zu hören, so als hätte der Wind eine Handvoll Wörter in seinen Schädel geweht, ohne dass sie zuvor hörbar gewesen waren — Wörter, die keine waren, sondern eher Bilder.
    Ein weiter Weg,
schien die Stimme zu sagen.
Ein weiter, gefährlicher Weg.
    Ferras Vansen wusste nicht, was er anderes tun sollte, als sein Pferd zu wenden und in die Richtung zu reiten, die Barrick angezeigt hatte. Vansen hatte in diesen Landen schon einmal den Verstand verloren, jedenfalls war er dem Wahnsinn so nahe gewesen, wie er es sich irgend vorstellen konnte. Vielleicht war der Wahnsinn ja einfach etwas, womit er zu leben lernen musste, so wie ein Fisch im Wasser leben konnte, ohne zu ertrinken.

3

Nächtliche Geräusche
    O
meine Kinder, hört! Am Anfang war alles dürr und leer und öd. Dann kam das Licht und brachte Leben in das Nichts, und aus dem Licht wurden die Götter geboren und all die Freuden und Leiden der Welt. Dies ist die Wahrheit, die ich euch künde.
    Offenbarungen des Nushash,
Erstes Buch
    Das Gesicht war kalt und ohne Regung, die Haut so blass und blutlos wie akarischer Marmor, aber was Chert am meisten ängstigte, waren die Augen: Sie schienen von einem inneren Feuer zu glühen, als ob ein roter Sonnenuntergang durch einen Riss in der Decke der Welt drang.
    »Wer bist du, dich in die Angelegenheiten der Götter zu mischen?«,
herrschte sie ihn an.
»Du bist der Niederste deines Volkes — niederer noch als ein Mensch. Du verrätst die Mysterien ohne einen Akt der Entschuldigung, ohne Gebete oder Ritual. Du kannst nicht einmal deine eigene Familie beschützen. Wenn der Tag kommt, da Urrigijag, der Tausendäugige, erwacht, wie willst du dich vor ihm rechtfertigen? Warum sollte er dich vor den Herrn des Heißen, Nassen Steins führen, auf dass dieser über dich urteile und dich dann aufnehme, so wie die Rechtschaffenen aufgenommen werden, wenn sie ihr Werkzeug endgültig niederlegen? Wird er dich nicht einfach in die Leere der Steinlosen Räume stoßen, damit du dort auf ewig jammerst und klagst ...?«
    Und er fühlte schon, wie er fiel, wie er durch diese endlose Leere stürzte. Er wollte schreien, aber kein Laut kam aus seiner Kehle.
    Chert fuhr hoch, saß keuchend im Bett, Schweißperlen auf der Stirn, obwohl es mitten in einer kalten Nacht war. Opalia raffte knurrend ihren Teil der Decke an sich, drehte sich dann um und kehrte ihrem unruhigen Mann den Rücken zu.
    Warum sollte ihn dieses Gesicht in seinen Träumen verfolgen? Warum sollte ihn die grimmige Edelfrau, die das Heer des Zwielichtvolkes angeführt hatte — und die Chert in Wirklichkeit behandelt hatte, als wäre er nur ein Käfer auf der Tischplatte — im Namen der Götter beschimpfen? Sie hatte doch nicht mal mit ihm gesprochen, geschweige denn Anschuldigungen gegen ihn erhoben, die so sehr schmerzten, als wären sie unauslöschlich in sein Herz gemeißelt.
    Ich kann nicht mal meine Familie beschützen — das stimmt. Meine Frau weint jeden Abend, wenn Flint schläft — der Junge, der uns nicht mehr erkennt. Nur weil er mir entwischt ist und ich ihn nicht wiedergefunden habe, bevor es zu spät war. Jedenfalls denkt das Opalia.
    Nicht, dass sie irgendetwas Derartiges gesagt hätte. Seine Frau wusste wohl, welch scharfe Waffe ihre Zunge sein konnte, und seit jenem schrecklichen Geschehen vor einem Tagzehnt hatte sie ihm noch kein einziges Mal die Schuld gegeben.
Vielleicht gebe ja nur ich mir die Schuld,
dachte er —
vielleicht ist das ja die Bedeutung des Traums.
Er wünschte, er könnte es wirklich glauben.
    Plötzlich bemerkte er ein leises Geräusch. Er horchte mit angehaltenem Atem. Jetzt erst erkannte er, dass ihn nicht der beängstigende Traum geweckt hatte, sondern das vage Gefühl, dass da irgendetwas

Weitere Kostenlose Bücher