Das Spiel
Ort, ein verkehrter Ort.
Wir sollten nicht hier sein.
Vielleicht hatte er es laut gesagt, und die anderen hatten es hören können. Er wusste es nicht, und es war ihm gleichgültig. Er schämte sich nicht einmal mehr.
Die Luft wurde noch heißer, das Dröhnen noch lauter. Dem Wächter war die Umgebung offenkundig vertraut, aber er schien sich dennoch fast so sehr zu fürchten wie Barrick. Der Gestank, der hier über allem hing, war nicht nur der von Verwesung und ungewaschenen Sklavenleibern — obwohl Barrick auch diese beiden Gerüche selbst über die fremdartige Innenwelt des Wächters deutlich wahrnahm. Es waren vielmehr Schwaden von etwas weit Seltsamerem, das er nicht identifizieren konnte: Etwas Metallisches lag darin und Feuer, Meer und sogar etwas von Blumen, falls es denn Blumen gab, die in Blut wuchsen.
Das Loch im Boden lag jetzt unmittelbar vor ihm, im Flackerlicht Hunderter von Fackeln und im wabernden Dunst der glühend heißen, staubgeschwängerten Luft. Wenn er gekonnt hätte, wäre er zurückgeblieben und hätte die anderen beiden allein weitergehen lassen und liebend gern zugegeben, dass er ein Feigling war, ein Krüppel, was auch immer — nur um nicht sehen zu müssen, was in diesem Abgrund vor ihm war. Aber er konnte sich nicht von ihnen trennen. Er wusste nicht, wie. Er konnte sich nur an die Gedankenbilder von Gyir und Vansen klammern und an das Wesen, das sie wie ein durchgegangenes Pferd alle drei dahintrug, und warten, bis alles vorbei war. In seinem Kopf herrschte jetzt ein einziges Chaos, das mit dem Geschehen um ihn herum wenig zu tun zu haben schien — bizarre Geräusche, unkenntliche Stimmen, huschende Schatten und sinnlose Gedankenfetzen schwirrten in seinem Schädel umher wie zornige Wespen.
Das Licht war blendend hell. Etwas in seinem Kopf erhob sich jetzt über all die anderen Geräusche und sang, ohne Worte, ohne Stimme, aber es
sang.
Barrick oder vielmehr das Wesen, das ihn mit sich trug, stolperte vorwärts wie ein Blinder, der in eine Grotte voller kreischender Fledermäuse taumelt. Er stand am Rand des Loches und blickte hinab.
Der riesige Schacht war fast senkrecht durch den Fels getrieben. Weit drunten wimmelte der Schachtgrund, wie ein Kadaver voller Maden, von Hunderten nackter, schwitzender Sklaven mit Lumpen um Kopf und Mund. Und da war, in die Schachtwand eingebettet und erst halb freigelegt, ein absonderliches Gebilde, das Barrick nicht einordnen konnte, etwas Senkrechtes und unglaublich Riesiges, das etwa fünfzig Fuß unter ihm endete. Es glänzte eigentümlich in seinem Felsbett: ein gigantisches Rechteck aus schwarzem Stein, mit einer Umrahmung von Mattgold und Fischschuppengrün unter der Kruste aus Staub und Gestein, die es umfasst hielt. Es war höher als der Wolfszahnturm und viel, viel breiter. In den schwarzen Stein war ein Zeichen eingegraben, eine Tanne, die fast die gesamte Oberfläche einnahm. Über die Tanne war eine weitere Ritzzeichnung gelegt, ein grob stilisierter Vogel mit riesigen Augen. Das befremdliche Gebilde sah aus, als wäre es unermesslich alt und von den Sternen auf die Erde gefallen. Barrick bemühte sich, im Chaos seiner Gedanken einen Sinn in das zu bringen, was er da sah. Und auf einmal erkannte er es.
Ein Tor, ein gigantisches steinernes Portal mit den uralten Zeichen der Tanne und der Eule — den Symbolen des Kernios, Gott des Todes und des schwarzen Grundes.
Plötzlich schwindelte ihn ob der schieren Größe. Er ließ Gyir fahren, ließ die dumpfen, furchterfüllten Gedanken des Wächterwesens fahren und fiel ins Leere, außerstande, den Anblick dieser Blasphemie auch nur einen Augenblick länger zu ertragen.
29
Glocken
Schließlich, nachdem sie sich ein ganzes Jahr ohn' Unterlass bekämpft hatten, gelang es Perin Himmelsherrscher, Khors, den Jungfrauenräuber, zu bezwingen und zu erschlagen. Er schlug dem Mondherrn den Kopf ab und reckte ihn empor, damit ihn alle sahen. Khors' Bundesgenossen flohen oder ergaben sich. In der allgemeinen Verwirrung konnten sich viele jener Bösen, welche man Zwielichtler nannte, im Wald und an sonstigen dunklen Orten verstecken, andere aber flüchteten in die kalte, tödliche Wildnis des Nordens und errichteten sich dort eine schwarze Festung, der sie den Namen Qul-na-Qar gaben — Heim der Dämonen.
Der Anbeginn der Dinge,
Buch des Trigon
Ihre Träume wurden mit jeder Nacht seltsamer, waren voll von Schatten und Flammen und den Bewegungen kaum erkennbarer Verfolger, aber alles
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