Das Spiel
unterhielt. Elan, die neben Hendon stand, tat ihr Möglichstes, Kettelsmit nicht anzusehen. »Ihr versucht Euch unauffällig davonzuschleichen, junger Mann«, beschuldigte ihn Tolly. »Bedeutet das etwa, dass Ihr Euer Gedicht zum morgigen Festmahl nicht fertig haben werdet? Oder ist es nur die Qualität, die Euch Sorgen macht?«
»Es wird fertig sein, Herr.« Er war fast ein Tagzehnt jeden Abend bis lange nach Mitternacht aufgeblieben und hatte dabei ungeheure Mengen von Öl und Kerzen verbraucht (sehr zu Puzzles Empörung, da dieser die Altmännergewohnheiten hatte, gleich nach Sonnenuntergang zu Bett zu gehen und jede Kupfermünze dreimal umzudrehen, ehe er sich von ihr trennte). »Ich hoffe nur, es gefällt Euch.«
»Ja, das hoffe ich auch, Kettelsmit.« Tolly grinste wie ein Fuchs, der ein unbewachtes Vogelnest gefunden hat. »Das hoffe ich allerdings.«
Der Reichshüter sagte noch ein paar leise Worte zu Fretup, wandte sich dann zum Gehen und schleppte Elan M'Cory hinter sich her, als ob sie ein Hund oder ein Mantel wäre. Als sie ihm nicht schnell genug folgte, drehte er sich um und wollte sie am Oberarm packen, was jedoch damit endete, dass er sie ins blasse Fleisch ihres Busens kniff. Sie zuckte zusammen und stöhnte leise auf.
»Wenn ich sage, beweg dich«, sagte er in ruhigem Ton, »dann hast du zu springen, Schlampe, und zwar schnell. Wenn du dich vor meinem Bruder so anstellst, werde ich dich zum Tanzen bringen, wie du noch nie getanzt hast. Jetzt komm.«
Fretup und die anderen, die in der Nähe standen, schienen überhaupt nichts bemerkt zu haben, und einen verrückten Moment lang konnte Kettelsmit fast schon glauben, dass er es sich nur eingebildet hatte. Elan folgte Hendon schweigend hinaus, und ein Fleck von zornigem Rot erblühte auf dem Weiß ihrer Brust.
Es war seltsam, so frei auszuschreiten. Tatsächlich fühlte sich Utta beunruhigend nackt — die Form ihrer Beine war etwas, das sie normalerweise nur sah, wenn sie badete oder sich bettfertig machte, nicht aber, wenn sie eine Straße entlangging und nichts zwischen ihren unteren Gliedmaßen und der Welt war als eine dünne Schicht groben wollenen Strumpfgewirks.
Sie hatte sich alle Mühe gegeben, nicht an Prinzessin Briony herumzunörgeln, als das Mädchen sich darauf kaprizierte, Jungenkleidung zu tragen, obwohl Utta es tief in ihrem Herzen als ein Zeichen dafür gewertet hatte, dass bei dem Kind etwas aus dem Lot geraten war — vielleicht eine Reaktion auf all die traurigen Geschehnisse in Brionys Umgebung. Doch jetzt konnte sie plötzlich ein bisschen verstehen, was Briony gemeint hatte, als sie von den »Freiheiten, die Männer für selbstverständlich nehmen«, gesprochen hatte. Waren es wirklich die Götter selbst, die die Frauen zum schwächeren Geschlecht gemacht hatten, oder war es etwas so Simples wie unterschiedliche Kleidungs und Anstandsregeln?
Aber sie sind stärker als wir,
dachte Utta.
Jede Frau, der je von einem Mann, der nicht größer war als sie, Gewalt angetan wurde, weiß das nur zu gut.
Trotzdem, Kraft allein macht noch keine Überlegenheit aus, dachte sie, sonst würden Ochsen und grollende Löwen Weltreiche regieren. Stattdessen fesselten Männer Ochsen die Beine, sodass die Tiere nur noch langsam gehen konnten. Hatte Briony recht, wenn sie sich beklagte, dass die Männer ihren Frauen ebenfalls die Beine fesselten.
Oder fesseln wir uns selbst? Aber wenn ja, warum?
Natürlich wären Frauen weder die ersten noch die einzigen Sklaven, die ihren Sklavenhaltern behilflich waren.
Hört euch an, was ich da rede — Sklaven! Sklavenhalter! Das sind die Zeiten, in denen wir leben — sie stellen alles auf den Kopf und machen uns an allem zweifeln. Aber wenn ich über alldem nicht aufpasse, was ich tue, werde ich noch in die Lagune fallen und ertrinken!
Utta sah auf. Sie war noch gar nicht an der Lagune, sondern erst auf der Hälfte der Blechschlägergasse, in der Nähe des Onir-Kyma-Tempels — noch außerhalb des Skimmerviertels. Sie war froh über den Tempelturm und die wenigen anderen markanten Punkte, die sie erkannte: Noch nie hatte sie sich so weit von der Hauptburg entfernt, außer auf der Hauptstraße zum Dammweg, wenn sie und ihre Mitschwestern zum Frühjahrsmarkt aufs Festland gingen.
Ein paar Männer lungerten vor ihr auf der Gasse herum und versperrten den engen Durchgang fast völlig. Im Näherkommen erkannte sie, dass es normale Männer und keine Skimmer waren — gewöhnliche Arbeiter dem Aussehen
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