Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
wegscheren, aber sie war jetzt außerhalb des Zeremonialkreises der Gewalt und hätte ebenso gut gar nicht da sein können. Die beiden Hauptkontrahenten vollführten mit Messern, die Utta zuvor gar nicht gesehen hatte, einen sachten, fast schon liebevollen Tanz aus Scheinangriffen und angedeuteten Paraden. Ihre Kameraden starrten das jeweils andere Lager stumm an, bereit, sich auf ihr Gegenüber zu werfen, sobald der erste Stich traf.
    Auf der glitschigen Straße so unbeholfen wie ein neugeborenes Kalb, mühte sich Utta wieder auf die Beine und rannte gerade in dem Moment los, als hinter ihr jemand einen Schmerzens- und Wutschrei ausstieß. Vielstimmiges Gebrüll erhob sich, und Leute traten aus den kleinen, dicht gedrängten Häusern, um nachzusehen, was da los war.
     
    Das Kind, das die ovale Tür öffnete, war so klein und großäugig, dass Schwester Utta im ersten Moment die Skimmer tatsächlich für eine gänzlich andere Art von Lebewesen hätte halten können. Sie zitterte immer noch am ganzen Leib, und das nicht nur wegen ihrer Begegnung mit den Straßenhalunken. Alles war so fremdartig hier, die Gerüche, die ganze Szenerie, selbst die Form der Türen und Fenster. Jetzt stand sie hier auf einer wackligen Landeplanke am Rand der größten Lagune der Burg und wartete darauf, auf ein schwimmendes Hausboot gelassen zu werden. Wie bizarr war ihr Leben doch geworden!
    In Utta Fornsdodirs Kindheit hatte es auf den Vüttischen Inseln keine Skimmer mehr gegeben, aber in den Geschichten dort hatten sie immer noch eine große Rolle gespielt, wenn auch die Skimmer in den Geschichten um einiges magischer waren als die hier an der Lagune. In jedem Fall sahen sie sehr befremdlich aus, und Utta wurde klar, dass sie fast zwanzig Jahre in der Südmarksburg verbracht hatte, ohne jemals richtig mit einem von ihnen zu sprechen, geschweige denn, sie als Nachbarn oder Freunde zu kennen. »H-hallo«, sagte sie zu dem Kind. »Ich möchte zu Rafe.«
    Das Kind erwiderte ihren Blick. Weil es keine Augenbrauen hatte und die Haare (wie bei männlichen und weiblichen Skimmern üblich) zurückgebunden waren, und weil das Gesicht noch die androgyne Rundheit der Kindheit besaß, konnte Utta nicht erahnen, ob es ein Junge oder ein Mädchen war. Schließlich drehte sich das kleine Wesen um und flitzte wieder nach drinnen, ließ aber die Tür offen. Utta konnte nur vermuten, dass das eine Art Einladung war, also trat sie auf das Deck hinüber und in die Wohnhütte des Bootes.
    Die Decken waren so niedrig, dass sie sich bücken musste. Als sie dem Kind die Trittstufen hinauf folgte, schätzte sie, dass das Häuschen mindestens drei Stockwerke hatte. Es wirkte von innen entschieden größer als von außen, voller Winkel und enger Gänge, mit winzigen Stiegen, die kaum so breit waren wie ihre Schultern und vom Eingangsabsatz sowohl nach oben als auch nach unten führten. Das Kind war auch nicht das einzige an Bord — sie traf auf mindestens ein halbes Dutzend weitere, die sie ohne jedes Anzeichen von Angst oder Freundlichkeit ansahen. Sie hatten alle nicht viel an, und das Jüngste war nackt, obwohl es draußen selbst für Dimene kalt war und das Hausboot nicht beheizt zu sein schien. Das kleinste Kind zog eine Lumpenpuppe am Fußgelenk hinter sich her, ein Spielzeug, das offensichtlich einmal einem ganz anderen Kind gehört hatte, da es lange, goldene Zöpfe hatte. Einen blonden Skimmer hatte Utta noch nie gesehen, obwohl die Haut dieser Leute manchmal so hell war wie bei ihrer eigenen Familie droben auf den nördlichen Inseln.
    Das Kind von vorhin führte sie eine weitere schmale Stiege hinauf und dann eine andere hinunter, ehe sie auf der Lagunenseite des Hausboots aufs Deck hinaustraten. Utta ertappte sich bei dem Gedanken, dass sie auf dem umständlichsten Weg, der irgend möglich war, hierher gelangt waren.
    Der junge Skimmer sah von der Leine auf, die er gerade spliss. Das Kind, jetzt offenbar seiner Verantwortung entbunden, hüpfte in die roh zusammengezimmerte Bootshütte zurück. Der Jüngling sah sie kurz an und wandte sich dann wieder der Leine zu. »Wer seid Ihr?«, fragte er in der kehligen Sprechweise seines Volkes.
    »Utta — Schwester Utta. Ich habe Euch eine Botschaft zu überbringen. Seid Ihr Rafe?«
    Er nickte, den Blick immer noch auf sein Spleißwerk gerichtet. »Schwester Utta? Ich dachte doch, dass Ihr ein bisschen unmännlich riecht, selbst für
dort.«
Er meinte wohl die Hauptburg, nahm sie an, aber er sagte es so, als

Weitere Kostenlose Bücher