Das Spiel
Er schnaufte schwer, weil er solch körperliche Betätigung nicht gewöhnt war. »Dort«, keuchte er.
»Was meint Ihr?«, fragte Briony und starrte zu den Mauern hinauf, die sie für einen Teil von Ardos Perinous gehalten hatte. »Wollt Ihr sagen,
das hier
ist Tessis?« Es schien unmöglich — was sie vor sich sah, war kleiner als die Südmarksburg, deren stetig wachsende Bewohnerschaft schon vor Jahrhunderten aufs Festland hinübergeschwappt war.
»Nein«, japste der Stückeschreiber, der noch immer nach Atem rang. »Dreh dich um, närrisches Ding. Schau da ... hinter dir.«
Sie tat es — und ihr blieb der Mund offen stehen. Sie waren jetzt über der Baumgrenze, und sie konnte sehen, was vorher noch hinter der Biegung des Flusses versteckt gewesen war. Nur wenige Meilen vor ihnen öffnete sich das Tal zu einem so weiten Becken, dass sie das andere Ende nicht ausmachen konnte. Wo sie auch hinsah, waren Häuser und andere Gebilde — Mauern, Zinnen, Kirchtürme, und Tausende von Schornsteinen, die allesamt Rauchfahnen in den Himmel spien, so dass über dem gesamten Tal ein grauer Schleier lag, wie Nebel, der erst in ein paar Hundert Fuß Höhe begann. Kanäle gingen vom Esteros in alle Richtungen ab und überzogen den Talgrund wie Gitterwerk. Das Wasser glitzerte so, dass es aussah, als wäre die Stadt unter einem silbernen Netz gefangen.
»Barmherzige
Zoria«,
sagte sie leise. »Das ist ja riesig!«
»Manche Leute behaupten, Hierosol sei größer«, erwiderte Teodorus und wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von Stirn und Wangen. »Aber ich glaube, das stimmt nicht mehr.« Er lächelte. »Ich vergaß, dass du Tessis noch nie gesehen hast — hast du doch nicht, oder?«
Briony schüttelte den Kopf. Sie wusste nicht, was sagen. Sie fühlte Sich so klein und unbedeutend. Wie hatte sie je glauben können, dass Südmark wichtig wäre — Ländern wie Syan ebenbürtig? Die Vorstellung, sich zu erkennen zu geben und die Syanesen um Hilfe zu bitten, schien plötzlich absurd. Man würde sie auslachen oder gar nicht beachten.
»Tessis ist unvergleichlich«, erklärte Teodorus.
»Stolze weiße Mauern, von gütigen Göttern beschirmt, und Türme, welche die Wolken spalten,
wie es der Dichter Vanderin ausgedrückt hat. Einst hat ihnen die ganze Welt gehört.«
»Es sieht aus, als gehörte ihnen immer noch ein ganz ordentlicher Teil«, sagte Briony.
Bei allen Göttern,
dachte sie, als sie die breite Hauptstraße entlangrollten, bedrängt von Dutzenden anderer Wagen und Hunderten von Fußgängern.
Finn sagt, das hier ist noch nicht mal die größte Straße in Tessis — die Laternenstraße ist doppelt so groß — aber sie ist trotzdem breiter als unser Marktplatz!
Noch nie hatte sie sich so unbedarft gefühlt, wie ein — wie hatte Finn sie am ersten Tag genannt? »Ein Bauerntölpel mit Stroh in den Haaren, der gerade erst von der Fähre aus Connord gestiegen ist.« Damals mochte sie ja beleidigt gewesen sein, aber wie sich jetzt zeigte, war es eine durchaus treffende Beschreibung, denn hier stand sie und gaffte wie der hinterwäldlerischste Bauer auf dem Jahrmarkt. Sie waren immer noch mindestens eine Meile vom Stadttor entfernt — sie sah die zinnengekrönten Wachtürme aufragen wie gepanzerte Riesen aus einer Sage —, aber schon mitten in einer blühenden Metropole, so viel größer und lebhafter als das Zentrum von Südmarkstadt.
»Wo werden wir übernachten?«, fragte sie Teodorus, der es sich inzwischen wieder im Wagen bequem gemacht hatte und gelassen das bunte Treiben beobachtete.
»In einem netten kleinen Gasthaus direkt neben dem östlichen Stadttor«, rief er herab. »Dort haben wir schon einmal gewohnt. Ich habe uns für zehn Tage einquartiert, das sollte genügen, um unsere
Zoria
zurechtzufeilen, ehe wir uns ein Plätzchen näher zur Stadtmitte suchen.«
Feival Ulian ließ sich zu ihnen zurückfallen. »Wisst Ihr, Finn, ich kenne den Mann, der das Zosimion-Theater neben der Brücke beim Hierarchen-Kolleg gebaut hat. Ich habe läuten hören, dass er Schwierigkeiten hat, dort Stücke auf die Bühne zu bringen — Rivalitäten mit dem Königlichen Festspielmeister oder dergleichen. Ich wette, da ist Platz für uns.«
»Gut. Eventuell machen wir das nach dem Gasthof.«
»Aber vielleicht ist es ja jetzt schon frei ...«
»Nein!« Teodorus schien zu merken, dass er zu heftig reagiert hatte. »Nein, ich meinte nur ... ich habe schon alles arrangiert, guter Feival. Im Gasthof in Chakkisloch. Wir
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