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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
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südöstlich von Tessis und fragte sich, ob die Götter wirklich dort oben weilten und auf sie und alle anderen Sterblichen herabblickten, so wie sie es gelernt hatte.
    Aber Lisiya hat doch gesagt, sie ... schlafen? Sie könnten uns hören, hat sie behauptet — aber können sie uns dann auch immer noch sehen?
    Es war seltsam, sich vorzustellen, dass die Götter blind waren und nur ahnungsweise von der Existenz der Menschen wussten, fast wie uralte Großeltern, die in ihren Ohrensesseln vor sich hin schnarchten und sich den ganzen Tag kaum bewegten.
    Kein Wunder, dass sie sich danach sehnen, wieder in die Welt zurückzukehren, wie Lisiya sagte.
Sie erschauerte plötzlich, hätte aber nicht sagen können, warum. Sie bückte sich und führ fort, die Wagenräder mit Steinen zu verkeilen.
     
    Die Morgenmahlzeit, ein erstaunlich herzhafter Fischeintopf, den ihnen der Wirt Bedoyas in einem großen eisernen Kessel serviert hatte, lag Briony schwer im Magen. Finn hatte ihr erklärt, der unangenehm scharfe Beigeschmack komme von etwas namens
Marashi.
Den Koch traf jedoch keine Schuld; Briony war einfach nur nervös. Der Hof des Gasthauses füllte sich bereits, obwohl das Stück nicht vor dem Glockenläuten im Tempel der Heiligen Herrin der Nacht beginnen würde, das das Ende der Nachmittagsgebete anzeigte — noch mindestens eine Stunde bis dahin. In den Dörfern und Städten an ihrem Weg war sie noch nie vor mehr als ein paar Dutzend Menschen aufgetreten, aber hier waren jetzt schon doppelt so viele versammelt, und der Hof war immer noch erst zur Hälfte gefüllt.
    Wovor hast du Angst, Mädchen?,
fragte sie sich.
Du hast schon gegen einen Dämon gekämpft, mal ganz davon abgesehen, dass du einem Thronräuber entkommen bist. Und du hast schon vor viel mehr Menschen gestanden und die Königin — na ja, die Prinzregentin — gespielt, was eine viel schwierigere Rolle war. Schauspieler kostet es nämlich nicht den Kopf, wenn sie nicht überzeugend sind, so wie es mich fast meinen gekostet hätte.
Sie musste an Hendon Tolly denken, und eine Welle von Wut überschwemmte sie.
Oh, was gäbe ich darum, seinen Kopf auf dem Richtklotz zu sehen! Ich würde selbst zum Beil greifen!
Briony war zwar, wie ihre Zofen und ihre Familie ihr immer wieder vorgehalten hatten, in manchem ungestüm und jungenhaft, aber doch keineswegs hartherzig oder blutdürstig. Wenn sie jedoch an Hendon Tolly dachte, überkam sie der grimmige Wunsch, ihn gedemütigt und aufs Grässlichste bestraft zu sehen.
    Das schulde ich allein schon Shasos Andenken,
sagte sie sich.
Ich kann nicht wiedergutmachen, dass wir ihn eingekerkert haben, aber rächen kann ich ihn sehr wohl.
    Shaso hatte keine Schuld an der Ermordung ihres Bruders gehabt, aber sie wusste immer noch nicht, wer dahintersteckte. Wer war die lenkende Hand bei diesem Mord durch finstere Magie gewesen? Hendon Tolly hatte, so schwarz sein Herz auch sein und so viel Blut auch an seinen Händen kleben mochte, doch aufrichtig verblüfft über die schreckliche Verwandlung der Zofe Selia gewirkt — aber wenn nicht die Tollys den Mord an ihrem Bruder veranlasst hatten, wer dann? Es war doch wohl nicht vorstellbar, dass dieses Hexenmädchen einen so teuflischen Plan ganz allein ausgeheckt und durchgeführt haben sollte. Konnte es einer von Olins königlichen Rivalen gewesen sein? Oder der ferne Autarch? Vielleicht sogar die Zwielichtler, die irgendwie von ihrem Schattenland aus zugeschlagen hatten, um damit ihren großen Angriff einzuleiten? Tatsächlich war das gesamte Leben der Eddons binnen weniger Monate durch Magie und Monster zerstört worden. Warum waren all diese schrecklichen Dinge geschehen?
    »Na, Tim?« Feival zog sich bereits das Hemd über den Kopf, während er sich in den engen Wagen quetschte. »Du siehst etwas ratlos aus — brauchst du Hilfe mit deinem Kostüm?« Als Erster Jüngling der Truppe kannte er sich mit Frauenkleidern besser aus als Briony, die immer von Zofen angekleidet worden war.
    Sie schüttelte erleichtert den Kopf. Der Arbeitsalltag verdrängte jetzt wieder alles andere, auch wenn es noch so wichtig sein mochte. »Nein, danke. Ich war nur in Gedanken.«
    »Volles Haus heute«, sagte er und stieg mit der Abgebrühtheit des altgedienten Schauspielers aus seiner Hose. Briony wandte sich ab, denn sie war den Anblick nackter Männer immer noch nicht gewohnt, obwohl das in ihrer Zeit bei der Truppe kein seltenes Erlebnis gewesen war. Gerade Feival war auffallend geschmeidig und

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