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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
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ungeduldig wirkte. »Gewiss. Jedenfalls, als Kind habe ich mit meinen Brüdern in den Höhlen gespielt. Wir sind nicht gar so weit hineingegangen, weil selbst meine Brüder wussten, dass das zu gefährlich war, aber wir trauten uns in die Höhleneingänge dort in der Klippe unter unserem Haus, von wo aus man übers Meer blicken konnte. Wir taten so, als wären wir vuttische Seeräuber oder dergleichen, oder wir stellten uns vor, wir müssten unsere Festung gegen xixische Invasoren verteidigen.« Er sah finster drein und gab ein bellendes Lachen von sich. »Ein guter Witz, wie sich jetzt zeigt.
    Es war ein Tag, an dem meine Brüder aus irgendeinem Grund wütend auf mich waren, ich weiß nicht mehr, worum es ging. Sie ließen mich in der Höhle zurück. Dort hinab führte ein steiler Weg, und um das letzte Stück zu überwinden, hatten wir eine Strickleiter aus dem Schuppen des Aufsehers entwendet. Meine Brüder und meine Schwester Zamira kletterten hinauf und zogen die Leiter einfach ein.
    Am Anfang dachte ich noch, sie kämen jeden Moment zurück. Ich war damals fünf oder sechs Jahre alt, und es lag außerhalb meiner Vorstellungskraft, dass es anders sein könnte. Sie wären wahrscheinlich auch nach einer Weile zurückgekommen, sie hatten es ja nur darauf angelegt, mir Angst einzujagen. Aber dann rutschte mein jüngerer Bruder Niram ab und stürzte auf tiefer gelegene Felsen hinab. Er brach sich das Bein so unglücklich, dass der Knochen aus dem Fleisch ragte. Der Bruch verheilte zwar wieder, aber mein Bruder hinkt noch heute. Jedenfalls, meine Geschwister schafften es, ihn zu bergen und nach Hause zu tragen. Doch in der Angst und in der Eile, einen Wundarzt aus der Stadt herbeizuholen, vergaßen sie mich einfach.
    Ich will Euch nicht mit allen Einzelheiten dieses schrecklichen Erlebnisses langweilen«, sagte Chaven, als fürchtete er die Ungeduld seines Gegenübers. Doch die war zum größten Teil verflogen, denn Chert verstand das Entsetzen eines Kindes in einer solchen Lage und musste an Flint denken, der erst vor ein paar Tagen ganz allein dort in der Tiefe Dinge durchlebt hatte, die er und Opalia wohl nie erfahren würden. Ihn schauderte.
    »Nur so viel, dass ich Schreie und Rufe vom Hang über mir hören konnte«, fuhr Chaven fort. »Ich dachte, dass sie mich erschrecken wollten — und dass ihnen das doch gelungen war. Dann war da nur noch Stille. Es verging eine Ewigkeit, und schließlich glaubte ich nicht mehr an ein Spiel. Ich war mir sicher, dass sie mich wirklich vergessen hatten, oder dass sie in den Tod gestürzt oder von Raubkatzen oder Bären angegriffen worden waren. Ich weinte und weinte, wie es wohl jedes Kind tun würde, aber irgendwann war das Fass leer — es kamen einfach keine Tränen mehr.
    An das, was dann geschah, kann ich mich kaum noch erinnern. Ich muss irgendwann das Schlupfloch hinten in der Höhle gefunden haben und hindurchgekrochen sein, auch wenn ich kein Bild mehr davon habe. Ich sehe noch vage Lichter vor mir, oder vielleicht war das auch nur ein Traum, und dann waren da Stimmen. Genau weiß ich nur noch, wie mein Vater und die Bediensteten kamen, mit Fackeln, weil es inzwischen schon dunkel war. Sie fanden mich zusammengerollt in einer kleineren, weiter hinten gelegenen Höhle, deren Eingang uns Kindern nie aufgefallen war, obwohl wir ständig in der Nähe gespielt hatten. Mein Vater ließ diese innere Höhle zumauern und die Leiter von der Kliffwand entfernen. Wir sind nie wieder dorthin zurückgegangen. Niram hätte den Weg sowieso nicht mehr geschafft.« Chaven fuhr sich mit der Hand übers schüttere Haar. »Seither habe ich entsetzliche Angst vor dunklen, engen Orten. Es hat mich äußerste Überwindung gekostet, vor drei Tagen hierher in die Funderlingsstadt zu kommen und Euch zu suchen, obwohl ich wusste, ich würde sterben, wenn ich keine Hilfe fände.«
    Chert fiel es schwer, sich vorzustellen, dass man Stein über sich als erdrückend und nicht als schützend empfinden konnte. Wie viel gefährlicher war es doch, im Freien zu sein, ganz ohne schützendes Obdach, ohne Möglichkeit, sich vor dem Feind oder gar vor zornigen Göttern zu verstecken! Doch Chert tat sein Bestes, sich in Chaven hineinzuversetzen. »Möchtet Ihr lieber wieder umkehren?«
    »Nein.« Chaven zitterte zwar immer noch, aber in seinem Gesicht stand eine fast schon grimmige Entschlossenheit. »Nein, ich kann mein Haus nicht diesen plündernden Tollys überlassen, ohne auch nur zu wissen, was sie dort

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