Das Spiel beginnt - Lost Souls ; Band 1
es in die Spülmaschine.
Nathan warf einen Blick auf den Stapel Papiere in dem dicken Ordner, der in Alyssas Tasche steckte. OFFEN, UNGELÖST stand da in ihrer Handschrift in großen schwarzen Buchstaben. Es reizte ihn, den Aktendeckel aufzuschlagen.
Plötzlich fiel Nathan auf, dass sich die Oberfläche des Orangensaftglases, das neben seiner Hand stand, bewegte. Als er genauer hinsah, erschien ein Männergesicht auf der Wand des Saftglases. Der Kopf des Mannes sah kantig und muskulös aus. Er hatte einen Kurzhaarschnitt wie jemand, der beim Militär war, und einen bleistiftdünnen Schnurrbart, der seiner Lippenlinie folgte. Obwohl das Bild auf dem Glas grau hinterlegt war, sah er wie ein Latino aus.
Nathan. Die Stimme klang heiser und war kaum zu hören, als sei sie schon ganz abgenutzt. Hör zu … hör mich an. Ich brauche deine Hilfe.
Völlig verängstigt ließ Nathan seine Gabel auf den Teller fallen und schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete, war das Bild auf der Wand des Glases verschwunden.
Das habe ich mir doch nicht eingebildet. Wer war der Typ?
Nathan.
Dieses Mal klang es, als käme die Stimme aus Alyssas Projektordner. Das war nun wirklich unheimlich.
Nathan konnte nicht aufhören, den Aktenordner anzustarren, und traute sich nicht, zu seinem Orangensaftglas hinüberzusehen.
Ich hoffe, ich bilde mir das alles ein. Der Schlafmangel … und dieser Traum …
Seine Geburtstage waren immer ein bisschen seltsam, aber dieser hier war ganz besonders merkwürdig.
Nathan.
Alyssa grabschte nach dem Ordner und schob ihn in ihre Kuriertasche. Nathan war erleichtert, als er außer Sichtweite war.
In diesem Augenblick kam Nathans Dad mit einem Totenschädel in die Küche und setzte ihn auf dem Frühstückstisch ab. Er würdigte Nathan keines Blickes, aber Nathan nahm das nicht persönlich, weil sein Dad niemanden ansah, wenn er in Gedanken war.
Professor Peter Richards war in den Fünfzigern und wurde allmählich grau. Nathan wusste, dass er seine über dem Durchschnitt liegende Körpergröße und die haselnussbraunen Augen von seinem Vater geerbt hatte, die dunklen Haare aber und den immer leicht gebräunten Teint von Seiten seiner Mutter. Mit beidem hatte er kein Problem, hoffte aber, dass er rein modetechnisch ein besseres Gespür besaß als sein Vater, der eigentlich immer etwas unordentlich aussah. Heute zum Beispiel trug er eine Anzughose mit Hosenträgern, ein verblichenes T-Shirt, auf dem »Universität zu Chicago« stand, und flauschige Hausschuhe.
Der Totenschädel war mehr oder weniger intakt und wippte leicht auf dem Tisch hin und her. In seine Rückseite war ein Loch mit dem Durchmesser von Nathans kleinem Finger geschlagen, das von scharfkantigen Knochenteilen umgeben war.
6
A lyssa drehte sich um, sah den Totenkopf auf dem Frühstückstisch liegen, stieß ein überraschtes »Huch« aus und trat einen Schritt zurück. Nathan lächelte. Es passierte nicht oft, dass seine perfekte Cousine die Kontrolle verlor.
Nathans Dad bewegte sich wie mit Autopilot durch die Küche und nahm sich eine Waffel, etwas Rührei und ein paar Würstchen. Er sah sich suchend um, entdeckte den Sirup und bediente sich. Dann setzte er sich schweigend an den Tisch und starrte auf den Totenkopf.
»Peter.« Onkel William kam mit einem Küchenhandtuch herbeigeeilt und streckte die Hand nach dem Schädel aus. »Musst du den unbedingt in die Küche mitbringen?«
Nathans Dad ließ eine Hand auf den Totenkopf fallen und hielt ihn fest. Er zwinkerte wie eine Eule hinter seinen Brillengläsern und sah sich um, als ob er gerade erst bemerkt hätte, dass sich noch andere Leute in der Küche aufhielten.
»Rühr den Schädel nicht an, William.«
»Aber auf dem Frühstückstisch …?«
»Rühr … ihn … nicht … an.«
Onkel William verzog missbilligend das Gesicht und wandte sich wieder seiner Bratpfanne nebst Rühreiern zu.
Nathans Dad deutete auf den Schädel. »Zerbrecht euch über den mal nicht den Kopf. Der ist ganz unwichtig.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich meine, unwichtig ist er natürlich nicht. Ich hoffe sogar, dass er wichtig ist. Und ehrlich gesagt, glaube ich auch, dass er es ist.« Er runzelte die Stirn und klopfte mit seiner Gabel auf den Schädel. »Ichweiß nur nicht, in welcher Hinsicht. Noch nicht. Das werde ich aber bald.«
Er spießte ein Stück Wurst auf seine Gabel und führte sie zum Mund.
»Onkel Peter!« Alyssas Stimme klang erstaunt. »Du hast doch nicht etwa gerade diesen
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