Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
geben, ahnte sie.
Erst auf der Treppe zur Kapelle begegnete sie dem jungen Rhys. »Oh, Gott sei gepriesen. Hier, schau nur, Rhys, das ist dein Neffe.«
Er streifte das kleine Bündel in ihren Händen nur mit einem kurzen Blick. »Wie geht es Lady Megan?«, fragte er furchtsam.
»Gut, sagt die Hebamme.«
»Kann ich zu ihr?«
»Nein, ich fürchte, vorläufig nicht. Weißt du, wo Vater Petrus ist?«
Der Junge nickte. »Im Dorf. Die Müllerin liegt im Sterben.«
»Ist sonst irgendein Priester hier? Oder ein Mönch?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
Blanche überlegte einen Moment. »Also schön. Dann muss ich ihn eben selbst taufen.«
»Ihr?«, entfuhr es Rhys. »Aber Ihr seid nicht mal ein Mann.«
»Was du nicht sagst. Aber Hebammen dürfen es im Notfall auch, also wieso nicht ich? Und jetzt halt mir die Tür auf.«
Rhys drückte die schwere Tür zur Kapelle nach innen und ließ Blanche eintreten, folgte ihr aber nicht. Während die Tür langsam wieder zuschwang, legte Blanche das Baby behutsam in ihren linken Arm, ergriff mit der Rechten eine Fackel aus einem Wandring, trug sie zum ewigen Licht am Altar und zündete sie an.
Der Taufstein stand am Westende des kleinen Gotteshauses.Langsam trat sie darauf zu und schaute einen Moment unschlüssig auf die dunkle Eisschicht, die das geheiligte Wasser bedeckte.
»Also, lieber nicht trödeln«, murmelte Blanche vor sich hin. Sie steckte die Fackel wieder in den Ring und drückte das Neugeborene behutsam an sich. Große blaue Augen schienen sie direkt anzusehen. Das runzelige Gesichtchen hatte ebenfalls eine bläuliche Tönung angenommen, und das Kind war geradezu unheimlich still. Selbst Blanche, die über keinerlei Erfahrung mit Säuglingen verfügte, wusste, dass das kein gutes Zeichen war. Hastig betete sie ein Paternoster , dann zerschlug sie das Eis im Taufstein mit der Faust. Es ging leicht, denn die Schicht war nicht dick, trotzdem hatte sie kein gutes Gefühl dabei, das heilige Eis so rüde zu zertrümmern. Sie konnte nur hoffen, dass es kein Sakrileg war, und schöpfte mit der hohlen Hand Wasser aus dem Taufbecken. »Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes taufe ich dich auf den Namen Henry.« Sie hatte keine Ahnung, was sie sonst noch hätte sagen müssen, also träufelte sie das Wasser behutsam auf den dunklen Schopf.
Es waren nur wenige Tropfen, aber sie waren so kalt, dass sie den Säugling aus seiner unnatürlichen Lethargie rissen. Kein kräftiges Gebrüll stimmte er an, lediglich ein jammervolles Wimmern, aber Blanche war erleichtert. Vage erinnerte sie sich an die eine oder andere Taufe, der sie beigewohnt hatte, und murmelte: »Da sonst niemand hier ist, muss ich wohl auch deine Patin sein. Also entsage ich dem Satan und seinen Versuchungen und gelobe, dich, solange ich lebe, vor seiner Tücke zu beschützen, dich im rechten Glauben zu erziehen und für dein Wohlergehen Sorge zu tragen.« Sie wiegte das jammernde Kind sacht in den Armen und sah in sein Gesicht hinab, das ihr noch bläulicher vorkam als eben. »Hast du gehört, Henry Tudor?«, flüsterte sie. »Ich sorge für dich. Du brauchst nicht zu weinen, auch wenn du ein armes, vaterloses Würmchen bist. Alles wird gut. Nur stirb nicht. Du bist der Earl of Richmond, du kannst dir gar nicht erlauben zu sterben, hörst du …«
»Blanche?«
Sie hob den Kopf. Im Halbdunkel erahnte sie zwei Männer an der Tür, einer trug eine Fackel. Eilig traten sie zu ihr, und sie erkannte Jasper und seinen Vater.
»Was in aller Welt tust du hier?«, fragte der alte Tudor, und ehe sie antworten konnte, fügte er hinzu: »Ist das mein Enkel?«
Blanche nickte und streckte ihm das kleine Bündel entgegen. »Henry.«
Er riss es ihr förmlich aus den Händen. »Heiliger David … Bist du noch bei Sinnen, Blanche? Soll er erfrieren?« Owen Tudor, der Kindernarr, der ein hingebungsvoller Vater und verlässlicher Verbündeter einer ganzen Kindergeneration bei Hofe gewesen war, sah auf einen Blick, was hier nicht stimmte. Eilig nahm er den Mantel ab und wickelte sein weinendes Enkelkind hinein.
»Es tut mir leid«, stammelte Blanche. »Ich wusste nicht … Die Hebamme hat gesagt, ich solle ihn herbringen und taufen, weil er vielleicht nicht lange lebt.«
»Und da hast du gedacht, es kommt nicht mehr darauf an?«, fragte er sarkastisch. »Hat er wenigstens ordentlich getrunken?«
Blanche geriet in echte Nöte. »Ich …« Hilflos hob sie die Hände. »Nein. Er hat überhaupt noch nicht
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