Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
Lucas Durham gesagt hatte: Edouard war König Henry wie aus dem Gesicht geschnitten. Und Julian schämte sich, dass er noch vor wenigen Tagen Megan gegenüber Zweifel an dessen Vaterschaft geäußert hatte. Nicht weil er Henry oder Marguerite, sondern vor allem dem Jungen damit unrecht getan hatte. Er lächelte ihm zu. »Der Duke of Somerset ist losgeritten, um das zu tun, Edouard. Wir müssen jetzt vor allem daran denken, dich und deine Mutter in Sicherheit zu bringen.«
»Und wohin?« Furchtsam sah der kleine Kerl sich um, und Julian konnte sich vorstellen, wie feindselig und fremd die Welt dem Knaben erscheinen musste. Gewiss war er noch nie bei Einbruch der Dunkelheit und Dauerregen im Wald gewesen.
»Ich habe schon eine Idee, mein Prinz.«
Julian wusste, er hätte niemals tun können, was sein Vater einst getan hatte: sein Leben der Erziehung und dem Wohlergehen eines zukünftigen Königs widmen. Julian war viel zu ungeduldig und rastlos für solch eine Aufgabe, und er hatte für Kinder nicht sonderlich viel übrig. Aber der Blick dieser dunklen Augen ließ ihn nicht unberührt. Nicht die Furcht darin machte ihm zu schaffen, sondern die Zuversicht. Edouard, erkannte Julian, ahnte schon, dass die Welt oft ein Jammertal war und schlimme Dinge geschehen konnten. So klein er auch war, spürte er natürlich, dass seine Mutter und er selbst, vor allem sein Vater in einer bedrohlichen Lage waren. Aber noch glaubte er daran, dass sich am Ende immer alles zum Gutenwendete. Julian hoffte, dass der Prinz nicht gar zu bald erfahren musste, wie gründlich er sich irrte.
»Reiten wir auf Eure Burg, Mylord?«, fragte Edouard.
Julian schüttelte den Kopf. »Waringham ist zu weit weg. Ich denke, wir …« Er unterbrach sich und lauschte. Dann wechselte er einen Blick mit dem Leibwächter.
Der nickte. »Wir werden verfolgt.«
»Vielleicht ist es Sergeant Wood mit seinen Männern«, sagte die Königin. »Es kann nicht mehr weit sein zu der Kapelle, die als Sammelpunkt vereinbart wurde.«
»Hm. Aber Wood kommt von Osten, die Verfolger von Süden.«
Wieder lenkten sie die Pferde zwischen die Bäume, wo es bereits fast völlig dunkel war. So lautlos wie möglich saßen sie ab. Der Earl of Waringham und die beiden Gardisten verständigten sich mit Blicken, dann führte Julian Marguerite und ihren Sohn nach rechts, einer der Soldaten die Pferde nach links – eine Vorsichtsmaßnahme für den Fall, dass eines der Tiere in einem ungeeigneten Moment auf die Idee kam zu schnauben.
Zwischen dem Laub des Unterholzes erahnte Julian sechs Reiter mit Fackeln auf dem Pfad, aber es mochten durchaus noch mehr sein.
»Mutter …«, begann der Prinz gedämpft, und Marguerite hielt ihm mit der Linken den Mund zu, während sie ihm mit der Rechten übers Haar strich.
Die Reiter hatten angehalten. »Es wird zu dunkel, um die Hufabdrücke zu erkennen, Sir Thomas«, sagte einer mit einem ausgeprägten West-Midlands-Akzent. »Kann gut sein, dass sie den Pfad hier verlassen haben – im Schlamm kann ich es nicht richtig ausmachen.«
»Dann machen wir hier Halt und suchen morgen früh weiter, sobald es hell wird«, antwortete eine dunklere Stimme.
»Gott verflucht, das ist Thomas Devereux«, wisperte Julian. Das war nicht gut. Wenn sie Devereux in die Hände fielen, würde die persönliche Fehde zwischen Julian und dem Marcher Lord die prekäre Lage für Marguerite und ihren Jungen nochverschlimmern. Julian dachte einen Moment nach. Dann hockte er sich vor den Prinzen. »Ich werde dich auf meine Schultern setzen, wenn du gestattest, mein Prinz«, sagte er tonlos. »Wir müssen sofort von hier verschwinden, schnell und lautlos. Du darfst kein Wort sprechen und musst mit deinen Händen dafür sorgen, dass dir keine Zweige ins Gesicht peitschen, hast du mich verstanden?«
Edouard nickte, ohne den Blick der großen Augen von ihm abzuwenden.
Julian hob ihn hoch, nahm ihn auf die Schultern, ergriff Marguerites Hand und legte einen Finger an die Lippen. Sie nickte knapp und unternahm keinen Versuch, sich von seinem Griff zu befreien. Sie hielt sich kerzengerade wie bei einem Festbankett, ihre Miene zeigte nichts als Gleichmut, aber Julian wusste, sie hatte Angst. Sie wäre eine Närrin gewesen, sich nicht zu fürchten, doch bei allem, was man der Königin nachsagen konnte – eine Närrin war sie nicht.
»Passt auf, wo Ihr hintretet«, flüsterte er ihr zu und bahnte sich dann einen Weg durch die Bäume und dichtes Unterholz. Es war fast
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