Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
Pontefract mit Somerset, und Gott helfe Jasper Tudor, wenn er sich uns mit seiner Armee nicht anschließt, ehe wir London erreichen.«
Denbigh, Januar 1461
Das war in der Tat Jaspers Absicht. Sobald die Nachrichten von den Ereignissen bei Wakefield sie erreicht hatten, waren er und sein Vater mit allen verfügbaren Männern aufgebrochen, darunter auch die Söldner, die Jasper wie versprochen für Marguerite in der Bretagne und in Irland angeheuert hatte. Mehr als achttausend Mann führten sie nach Osten.
Blanche stand am Tor, den vierjährigen Richmond an der Hand, und sah ihnen nach, bis selbst der letzte Trosswagen zwischen den Hügeln verschwunden war und nur die breite, zertrampelte Spur im Schnee zurückblieb.
Richmond zog zaghaft an ihrer Hand. »Wohin reiten denn mein Onkel und Großvater, Blanche?«
Sie schaute auf den kleinen Kerl hinab, der den Kopf in denNacken gelegt hatte und ihren Blick mit großen, wachen Augen erwiderte.
»Nach England«, antwortete sie.
»Zu meiner Mutter?«, fragte er.
Für Richmond war England ein geheimnisvoller, ferner Ort. Das Einzige, was er darüber wusste, war, dass seine Mutter dort lebte, die er zuletzt vor einem halben Jahr gesehen und an die er bestenfalls verschwommene Erinnerungen hatte. Einmal hatte er seinen Onkel gefragt, ob ein böser Drache seine Mutter in England gefangen halte, sodass sie dort bleiben müsse, statt hier in Wales bei ihrem Sohn zu sein, und Jasper hatte ihm ein wenig zu ruppig über den Kopf gestrichen und versichert, in England gebe es keine Drachen, nur in Wales.
Blanche sah sich ebenso wenig wie Jasper imstande, dem Jungen zu erklären, warum seine Mutter nur ein ferner Traum war, warum es Megan zu riskant erschien, ihren Sohn zu sich zu holen. »Wer weiß«, antwortete sie nun mit einem gezwungenen Lächeln. »Vielleicht finden sie wirklich Gelegenheit, sie zu besuchen.«
Richmond schien das Interesse an ihrer Unterhaltung zu verlieren. Er löste sich von ihrem Griff, hockte sich hin, schob mit den Händen Schnee zusammen und formte eine Kugel daraus.
Blanche sah noch einmal auf die Spuren im Schnee. Ihr Herz war bleischwer. Sie konnte sich nicht erinnern, dass ihr je im Leben etwas schwerer gefallen war, als Jasper ohne Tränen und unwürdiges Flehen ziehen zu lassen. Es war mit Mühe geglückt, und sie war stolz auf sich, darauf, dass sie es geschafft hatte, sich zu benehmen, wie man es von einer Waringham erwarten durfte. Aber das änderte nichts an ihrem Kummer, ihrer Furcht und dem Gefühl der Verlassenheit. Alle zogen in den Krieg. Sogar seinen jungen Bruder Rhys hatte Jasper mitgenommen. Nur sie nicht.
Dieses Mal hatte Blanche allerdings ganz von selbst eingesehen, dass es unmöglich war, ihn zu begleiten. Sie war jetzt hochschwanger und wusste, dass es nicht mehr lange dauernwürde, bis ihr Kind kam. Gewiss, sie wäre nicht die erste Dame gewesen, die im Zeltlager einer Armee niederkam – selbst bei Königinnen war das schon vorgekommen. Doch der Feldzug, zu dem Jasper aufgebrochen war, führte ins Ungewisse. Die Tudors waren nicht einmal sicher gewesen, wer sich ihnen zur Schlacht stellen würde, geschweige denn, wo. Blanche wäre nur eine zusätzliche Last gewesen, und das war das Letzte, was sie für Jasper Tudor sein wollte. Also hatte sie sich zusammengenommen, ihm zum Abschied ein Lächeln geschenkt, das er so schnell nicht vergessen würde, und ihre Furcht um ihn, ihren Bruder und all die anderen ebenso tief verborgen wie die Angst vor dem Alleinsein und der bevorstehenden Entbindung ohne einen einzigen vertrauten Menschen in der Nähe.
Richmond warf Schneebälle gegen die Burgmauer. Er konnte noch nicht besonders gut zielen, und seine Würfe hatten noch keine Kraft, aber die weißen Flecken, die seine Geschosse auf dem grauen Stein hinterließen, erfreuten ihn offenbar.
»Mach mit, Blanche«, forderte er sie auf.
Sie schüttelte bedauernd den Kopf. »Es geht nicht, Engel. Ich bin schwerfällig wie ein alter Ochse.« Sie fing den nervösen Blick der Torwache auf. Denbigh Castle war beinah vollkommen entblößt, und der Mann wollte schleunigst das Tor schließen. Blanche nickte ihm zu und streckte die Hand nach Richmond aus. »Komm jetzt. Es ist zu kalt für uns beide hier draußen.«
Richmond hörte keineswegs immer auf das, was sie oder sonst irgendwer ihm sagte. Er hatte einen eigenen Kopf – wie sein Onkel Jasper – und war kein sehr folgsames Kind. Aber heute hatte Blanche Glück. Er war seines
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