Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
zu dem Jungen. »Das gilt auch für dich, Roland. Obwohl ich es vorziehen würde, wenn du aufstehst, während deine Mutter uns bekannt macht.«
Roland streckte demonstrativ die Beine vor sich aus und kreuzte die Arme. »Tatsächlich?«
»Roland, bitte …«, schalt seine Mutter müde. Es klang, als sage sie es zum tausendsten Mal.
Julian schaute dem aufsässigen Knaben in die Augen, und er sah dort Schmerz, Zorn und Enttäuschung. Die ersten beiden Empfindungen konnte er verstehen, für die letzte brauchte er einen Moment. Dann ging ihm ein Licht auf. »Kopf hoch, Junge«, sagte er kühl. »Ich bedaure, dass meine unverhoffte Rückkehr von den Toten deine Pläne durchkreuzt, aber du wärst so oder so nicht Earl of Waringham geworden. Selbst wenn dein Vater kein Lancastrianer gewesen wäre, gibt es in Burton und in Fernbrook noch ein paar ältere Cousins, deren Anspruch auf den Titel mindestens so gut wäre wie deiner.«
Roland errötete bis in die Haarwurzeln und schlug den Blick nieder.
»Geh mit deinen Schwestern hinunter in den Garten«, befahl Julian. »Ich habe mit deiner Mutter zu reden.«
Der Junge machte immer noch keine Anstalten, sich zu erheben. »Danke, Onkel, aber mir ist gerade nicht danach, mich in Eurem blöden Garten zu ergehen. Ich würde viel lieber hören, wie Ihr Euch herausredet und erklärt, warum mein Vater und Bruder tot sind und Ihr noch lebt.«
Martha und Agnes zogen erschrocken die Luft ein, tauschten einen Blick und gingen zur Tür, um sich von der Unverschämtheit ihres Bruders zu distanzieren.
Julian kam die Frage in den Sinn, ob er mit vierzehn, fünfzehn auch so eine Pestbeule gewesen war. Sein Vater hätte dieFrage wahrscheinlich bejaht, und zum ersten Mal konnte Julian verstehen, warum. Er erkannte sich selbst in diesem zornigen Flegel, und er war sich durchaus bewusst, dass das der Grund war, warum er ihn nicht mochte. Niemand hat es gern, wenn ihm ein Spiegel vorgehalten wird, der ihn hässlich erscheinen lässt, dachte er.
»Hör zu, Roland: Du bist herzlich eingeladen, dich mit mir anzulegen, wenn es dich erleichtert. Aber was hättest du erreicht, wenn du mich zwingst, dich am Kragen vor die Tür zu setzen? Denkst du nicht, deine Mutter macht genug durch? Also, wie wär’s, wenn du ihr die Szene einfach ersparst? Aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben.«
Roland schwankte noch einen Augenblick. Dann erhob er sich und schlenderte zur Tür. Er verstand es vortrefflich, mit der Haltung seiner Schultern Verachtung auszudrücken. Julian kam kaum umhin, ihn dafür zu bewundern. Dann schloss sich die Tür.
»Eine Spur zu laut vielleicht, aber immerhin zu«, bemerkte Julian und setzte sich neben Kate auf die tiefe gepolsterte Fensterbank.
»Ich glaube nicht, dass das bisher je irgendwem gelungen ist«, sagte sie verwundert.
»Was?«
»Roland mit einem Appell an sein Gewissen zu überzeugen. Dabei hat er durchaus eins. Aber für gewöhnlich macht er ein Geheimnis daraus.«
Julian nickte zerstreut. Er hatte Wichtigeres auf dem Herzen. »Seid ihr enteignet?«, fragte er.
Kate schüttelte den Kopf. »Warwick hat unsere Güter der Verwaltung seines Stewards unterstellt, aber es war keine Rede davon, dass sie an die Krone fallen.«
»Es könnte noch kommen«, warnte Julian. »Es wird ein paar Monate dauern, ehe unser neuer, selbsternannter König die Zeit findet, sich um solche Kleinigkeiten zu kümmern, wie treue Lancastrianer posthum als Verräter zu verurteilen.«
»Ich weiß.« Es war einen Augenblick still. Vogelstimmenschollen vom Garten herauf, und ab und zu trug die Brise einen Hauch von Rosenduft durchs Fenster herein. »Und wie steht es mit dir und Waringham?«, fragte Kate schließlich.
»Nicht gut, schätze ich.« Er wiederholte, was er schon den Männern in der Halle gesagt hatte. »Auch wenn Edward of March mir bei Towton das Leben gerettet hat, kann ich mir schwerlich vorstellen, dass er mir mein Land und meinen Titel lässt. Ich an seiner Stelle täte das todsicher nicht.«
»Er hat dir das Leben gerettet?«, fragte sie ungläubig.
Julian nickte, stellte den Absatz auf die Sitzbank und verschränkte die langen Finger um das angewinkelte Knie. »Ich war bei deinem Sohn, als er starb, Kate.«
Sie kniff die Augen zu. »Oh, Gott sei gepriesen. Er ist … er ist nicht mutterseelenallein im Schnee gestorben.«
»Nein. Willst du’s hören oder lieber nicht?«
Sie nickte und schlug die Augen wieder auf. »Erzähl mir alles, Bruder.« Dann ergriff sie seine Hand
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