Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
ich ohne Euch von hier verschwinde.«
Ihre großen Augen verengten sich fast unmerklich, als er ihren Bruder erwähnte, aber sie sagte nichts.
»Ich habe ein Haus in Farringdon. Es ist nicht weit von hier. Wenn Ihr Euch entschließen könntet, mich dorthin zu begleiten, könnten wir in Ruhe überlegen, wie es weitergehen soll.«
»Ich kann mir unschwer vorstellen, wie es weitergeht, wenn ich erst einmal in Eurem Haus bin«, versetzte sie.
Julian hatte genug. »Wirklich? Ich glaube, Ihr täuscht Euch, werte Gemahlin. Eh das passiert, ginge ich doch lieber ins Kloster. Seid versichert, Eure Tugend könnte nirgendwo sicherer sein als in meinem Haus. Ich wollte Euch so wenig wie Ihr mich, vergesst das nicht. Aber ich würde jetzt gern von hier verschwinden. Mit oder ohne Euch.«
Sie wandte den Blick ab, hob die Hände und rieb sich die Oberarme, als fröre sie. Sie ließ ihn ihr Gesicht nicht sehen, sodass er nicht erraten konnte, welche Kämpfe sie mit sich ausfocht. Jedenfalls dauerte es ein Weilchen. Aber schließlich sagte sie. »Ich komme mit.« Es klang matt und besiegt.
Vermutlich hat sie eingesehen, dass das wirklich der einzige Weg ist, den sie einschlagen kann, und die Erkenntnis ist gewiss bitter, dachte Julian.
»Habt Ihr Gepäck? Dienerschaft? Irgendetwas, das wir mitnehmen müssen?«
»Nein.«
»Wollt Ihr Euch verabschieden gehen?«
Sie sah aus, als erwäge sie, auf den geheiligten Boden zu spucken. »Nein.«
»Also dann.«
Er machte kehrt und ging, ohne sich nach ihr umzuwenden. Doch er hörte ihre Schritte hinter sich.
Tristan war wie vereinbart vorausgeritten, Lucas wartete vor einem der Pferdeställe. Er hatte auch Janets Pferd ausfindig gemacht und satteln lassen, und nun streckte er ihr die verschränkten Hände hin und lächelte charmant. »Lucas Durham of Sevenelms, Mylady. Zu Euren Diensten, wie Ihr seht.«
Für einen Lidschlag verzogen ihre Mundwinkel sich zu einem Lächeln, aber es verschwand sogleich wieder, und sie stellte den Fuß in die Räuberleiter. Lucas half ihr behutsam in den Sattel.
Julian hingegen musste allein zusehen, wie er auf sein Pferd kam.
Niemand schenkte ihnen das geringste Interesse, als sie diePalastanlage verließen. Im Schritt ritten sie nebeneinander durch Westminster, dann die Fleet Street entlang und sprachen kein Wort. Eher eine Beerdigungs- als eine Hochzeitsstimmung, dachte Julian finster. Selbst der Himmel hatte sich zugezogen. Aber sie erreichten die Shoe Lane trockenen Fußes.
Janet Bellcote war nicht dazu erzogen worden, große Erwartungen an ihr Leben zu haben. Als jüngstes Kind von Sir Leonard Hastings, einem nicht sonderlich wohlhabenden Ritter aus Leicestershire, hatte man sie lesen, schreiben, Haushaltsführung, genügend Latein zum Beten und vor allem Bescheidenheit gelehrt, damit sie einem Mann ihrer Klasse eine gute und nützliche Frau werden konnte. Ihr Vater hatte im Dienst des Duke of York gestanden, der ihm schließlich den Posten eines Wildhüters auf einem seiner Jagdgüter in Shropshire übertrug. Als Janet zehn Jahre alt war, war ihr Vater bei einem Jagdunfall ums Leben gekommen, doch ihrem ältesten Bruder William war es nicht nur gelungen, das Amt des Vaters für sich zu sichern, sondern er hatte es auch verstanden, Yorks Aufmerksamkeit zu wecken und sich ihm unentbehrlich zu machen. Nach kurzer Zeit wurde er zum Leibwächter für Yorks Erstgeborenen bestimmt, wurde Edwards ständiger Begleiter – sein Beschützer und ebenso sein Komplize bei jedem jugendlichen Unfug. Janet war zufrieden gewesen, als er sie mit Jeremy Bellcote verheiratete, einem Ritter mit einem kleinen Landgut in Shropshire. Sie hatte großes Vertrauen zu der Wahl ihres Bruders, denn William war ihr Leben lang ihr Idol gewesen, der große Bruder, den sich jedes Mädchen wünscht.
So kam es, dass keine der Katastrophen, die im Laufe der letzten eineinhalb Jahre über sie hereingebrochen waren, sie so erschüttert hatte wie der Verrat ihres Bruders. William hatte sie seinem politischen Ehrgeiz geopfert, sie dem Feind ausgeliefert, und als sie sich – zum ersten Mal in ihrem Leben – gegen ihn aufgelehnt hatte, hatte er sie behandelt wie eine bissige Hündin. Ohne jede Regung, ohne das geringste Mitgefühl, bis ihr Widerstand schließlich zerbrochen war. Er hatte sie niegeliebt, war ihr da klar geworden. Der einzige Mensch auf der Welt, dessen Zuneigung und Anerkennung ihr je etwas bedeutet hatten, sah in ihr nur ein Instrument zur Verfolgung seiner
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