Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
Augen verbunden und die Hände hinter dem Rücken gefesselt, aber weder wurden sie bewacht, noch wirkte ihre Haltung besonders angespannt, argwöhnisch oder furchtsam, wie es bei gefesselten Menschen eigentlich immer der Fall war.
Dieses Bild war so eigentümlich, so falsch, dass Blanche ein paar Atemzüge brauchte, um es zu entschlüsseln, und es war Dädalus, den sie als Ersten erkannte. »Julian!«
Unter der Augenbinde des vorderen Reiters breitete sich ein Grinsen aus, das zwei Reihen bemerkenswert gesunder Zähne enthüllte. »Hilft mir jemand beim Absitzen?«
Jasper schüttelte seine Verwunderung ab, trat zu ihm, packteihn am Arm und zog ihn nicht gerade behutsam aus dem Sattel. Dann riss er ihm die Binde herunter. »Was zum Henker tust du hier?«
Julian drehte ihm wortlos den Rücken zu, und Jasper durchschnitt die Fesseln, während Blanche ihren Bruder in die Arme schloss.
Als Stephen das sah, half er dem zweiten Reiter vom Pferd und band ihn los. »Sie haben Cal und mich einfach angehalten und gebeten, sie zu Euch zu bringen, Mylord«, erklärte er ein wenig ratlos. »Und sie haben darauf bestanden, dass wir ihnen die Augen verbinden und die Hände fesseln. Damit wir beruhigt sein könnten, dass sie keine Spitzel sind, hat er gesagt.« Er wies diskret mit einem Finger auf Julian. »Ich war nicht sicher, was ich machen soll. Hätte ja sein können, dass es irgendeine besonders ausgefuchste List ist. Aber ich hab mir gedacht, mit verbundenen Augen …«
Jasper brachte ihn mit einer Geste zum Schweigen. »Schon gut.« Und Julian fragte er: »Was hättest du getan, wenn sich herausgestellt hätte, dass du einer von Black Will Herberts Patrouillen in die Arme gelaufen bist? Hast du mal darüber nachgedacht, wie unverantwortlich es ist, hierherzukommen …«
»Halt die Luft an«, unterbrach Julian, aber es klang nicht ärgerlich. »Wir sind deinen Männern ungefähr drei Stunden lang gefolgt und haben gesehen, wie sie sich vor einer von Herberts Patrouillen im Wald versteckt haben. Das Risiko war also überschaubar.«
Jasper nickte versöhnlich. »Verstehe.« Dann warf er Stephen einen vielsagenden Blick zu. »Ihr lasst Euch drei Stunden lang unbemerkt verfolgen? Gute Arbeit, das muss ich sagen …«
Stephen errötete und zog sich aus der Affäre, indem er die Pferde der Gäste wegführte.
Jasper trat zu Lucas Durham, Julians einzigem Begleiter, den er seit Jugendtagen kannte. Sie wechselten leise ein paar Worte, dann wies Jasper auf die Bauernkate. »Willkommen in unserem bescheidenen Rebellennest.«
Blanche hakte sich bei Julian ein. »Wie geht es dir, Bruder?«
Er nickte mit einem Schulterzucken. »So gut, wie es einem in England unter den derzeitigen Verhältnissen gehen kann.«
»Es ist so schön, dich zu sehen. Hier gab es ein hanebüchenes Gerücht, Edward habe dich mit Hastings’ Schwester verheiratet. Ich war in Sorge.«
»Das Gerücht ist wahr, aber Anlass zur Sorge besteht deswegen nicht. Jedenfalls nicht unmittelbar.«
Blanche war stehen geblieben. »Es ist wahr ? Oh, mein Gott, Julian. Das ist … eine Katastrophe. Eine yorkistische Spionin als Lady Waringham …«
Er sah sie an, und für einen Lidschlag entglitt ihm die unbekümmerte Maske, und er ließ sie sehen, wie ratlos und zornig und unglücklich er in Wahrheit war. Der Moment versetzte Blanche zurück in ihre Kindheit, als es ihr die natürlichste Sache der Welt erschienen war, immer genau zu wissen, was ihr Bruder dachte und fühlte. Die Erinnerung erfüllte sie mit Wehmut und Erstaunen darüber, wie grundlegend die Dinge sich geändert hatten. Sie nahm wieder seinen Arm. »Komm. Lass uns essen und reden.«
»Was treibst du hier eigentlich, Jasper?«, fragte Julian, als schließlich nur noch sie beide, Lucas und Blanche in der anheimelnden Küche saßen. Owen war im hinteren Zimmer zu Bett gebracht worden, und Jaspers Männer – ein halbes Dutzend vertrauter Ritter und vielleicht ebenso viele Waliser von schlichterem Stand – hatten sich irgendwo in den Außengebäuden zur Ruhe begeben. Längst nicht alle hatten einen Platz am Tisch gefunden, und die enge Küche war überfüllt und laut gewesen.
»In England erzählt man sich, dass Black Will Herberts Herrschaft über Pembroke von Missgeschicken überschattet wird«, fuhr Julian fort. »Seine Steuereintreiber etwa am helllichten Tag von der Straße verschwinden. Entsinne ich mich recht, dass du als Junge eine besondere Schwäche für die Balladen über Robin Hood
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