Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
komm jetzt rein.« Ein wenig zaghaft drückte er gegen die Tür, die lautlos nach innen schwang. Julian trat über die Schwelle samt Schemel.
Der Raum war verschwenderisch mit Kerzen erhellt, und in ihrem Licht sah er Lady Elizabeth Woodville, Edwards Königin, zum ersten Mal seit vielen Jahren aus der Nähe. Von der hoch gerühmten Schönheit war im Moment nicht viel zu entdecken. Elizabeth trug das Haar unbedeckt, und es war strähnig und unsauber. Sie war hochschwanger, das Gesicht aufgedunsen und fleckig, die nackten Füße, die unter dem Saum des losenGewandes hervorschauten, geschwollen. Neben dem Bett entdeckte Julian einen unbedeckten Nachttopf, und der Gestank nach Erbrochenem, der sich im Raum verbreitet hatte, schien dort seinen Ursprung zu haben.
Julian nickte der Königin mit einem matten Lächeln zu. »Schlimme Schwangerschaft, was?«
»Ihr könnt es Euch in Euren grellsten Albträumen nicht vorstellen.«
»Aber bald überstanden?«
»Noch sechs Wochen, meint die Hebamme.«
Ungebeten trat Julian näher, ging an ihr vorbei zum Fenster und öffnete beide Flügel weit.
»Ihr und Eure Töchter müsst auf der Stelle von hier verschwinden, Madam. Mir ist unbegreiflich, wieso Ihr noch hier seid. Ihr müsst doch wissen …« Er brach ab, weil die kleine Elizabeth in der Ecke der Fensterwand stand und ihn unverwandt aus großen blauen Augen anschaute.
»Ich konnte nicht«, erklärte ihre Mutter erschöpft. »Ich wusste nichts. Niemand war hier und hat mir etwas gesagt … Niemand wusste irgendetwas. Der König hat es nicht für nötig befunden, seine Töchter und mich …« Sie nahm sich zusammen. Mit zitternden Händen schlang sie ihr golddurchwirktes Gewand fester um sich und bemerkte: »Dem König entfällt meine Existenz gelegentlich, wenn ich guter Hoffnung bin, versteht Ihr.«
Julian nickte. Man musste kein Hellseher sein, um zu erkennen, dass der Seitenwechsel und die Ehe mit dem York-König ihr nicht viel Glück gebracht hatten. Aber so ist das eben, dachte er. Wir alle liegen so, wie wir uns gebettet haben. Und wenn wir noch atmen, haben wir mehr Glück gehabt als viele andere. »Ich bin sicher, er hätte Euch geholt, wenn er die Möglichkeit gehabt hätte, Madam«, sagte er ein wenig lahm.
»Natürlich«, stimmte sie um ihrer kleinen Tochter willen zu. »Stimmt es, dass er nach Burgund geflohen ist?«
»Ja. Euer Bruder und der seine haben ihn begleitet. Und Hastings, natürlich.«
»Oh, natürlich«, gab sie zurück. »Er tut praktisch keinen Schritt ohne Hastings. Sie teilen sich sogar eine Geliebte, wusstet Ihr das?«
Julian hatte so ein Gerücht gehört und war nicht sicher gewesen, ob er es glauben sollte. Außereheliche Eskapaden gehörten derzeit indes nicht zu seinen Lieblingsthemen, und darum wiederholte er: »Madam, Ihr müsst den Palast sofort verlassen. Schickt nach der Amme und Euren übrigen Töchtern. Ich bringe Euch ins Kloster hinüber, wo Ihr ins Aysl gehen könnt.«
»Es ist zu spät«, entgegnete sie müde. »Der Palast wimmelt bereits von Lancastrianern.«
»Es ist nicht zu spät«, widersprach Julian. »Es gibt eine verborgene Pforte, die von diesem Trakt direkt in die Privatkapelle des Abtes führt.«
Die Königin machte große Augen. »Ist das wahr? Wie kann es sein, dass Ihr so etwas wisst und ich nicht, die ich hier mein halbes Leben verbracht habe?«
Erst als Hofdame, dann als Königin, dachte Julian. Welch ein Aufstieg. Und welch ein Fall. Die Lancastrianer würden ihr das Leben zur Hölle machen, wenn sie sie erwischten. »Weil nicht Euer Vater Captain der königlichen Leibwache war, sondern meiner. Er kannte in diesem Palast jeden verborgenen Flur und jede Falltür. Vertraut mir, Madam.«
Sie zögerte nicht länger. Erleichterung vertrieb einen Teil ihrer Erschöpfung, und sie wandte sich an ihre Tochter: »Lauf, Liz, hol die Amme und deine Schwestern. Schnell und leise, hörst du?«
»Ja, Mutter«, flüsterte die Kleine, holte sich einen Fußschemel und öffnete die Tür zum Nebengemach.
»Ich kann keine Schuhe anziehen«, sagte die Königin entschuldigend.
»Ich schicke Euch morgen welche. Und alles, was Ihr sonst noch braucht.«
»Warum tut Ihr das, Julian?« Sie schien nicht zu merken, dass sie in die alte Vertraulichkeit zurückverfallen war. »MeineTöchter und ich wären wahrhaft wertvolle Geiseln für Warwick, oder nicht?«
Er hob ratlos die Schultern. »Ich tu es, weil ich es Eurem Gemahl versprochen habe. Letztes Jahr schon. Oder um der
Weitere Kostenlose Bücher