Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
dem linken Ringfinger über das Silberkreuz seines Großvaters, das er um den Hals trug. Jeder, der ihn kannte, hatte diese Geste schon ungezählte Male gesehen – wenn er las, wenn er ins Feuer schaute und eine Geschichte erzählte, wenn er mit seinen Freunden beisammensaß und trank. Es war Richmonds Denkerpose. »Ja, ein hübscher Traum«, sagte er schließlich und ließ die Hand sinken. Seine Stimme klang scharf, als weise er irgendwen zurecht. Vielleicht sich selbst. »Aber wir können überhaupt nichts tun, solange wir nicht mehr Unterstützung in England haben. Die Frage ist, können wir sie jetzt vielleicht finden? Edward of March hat es verstanden, seine Lords im Zaum zu halten, aber werden sie alle treu zu seinem minderjährigen Sohn stehen? Zu seinem Bruder Gloucester, den man südlich von York seit zehn Jahren kaum gesehen hat und den die Königin – die zukünftige Königinmutter – und ihre ganze Familie verabscheuen?«
»Das sind in der Tat die entscheidenden Fragen«, pflichtete Jasper seinem Neffen bei.
»Ich werde morgen nach England zurückkehren und versuchen, ein paar Antworten zu finden«, versprach Julian.
Leise plätscherten die Wellen gegen die Bordwand. Knarrend zerrte die Edmund an ihrer Ankerkette und schaukelte sacht. Es hatte zu regnen begonnen, der Wind war aufgefrischt, abernoch war die Bewegung des Schiffes nicht viel mehr als ein sanftes Wiegen.
Umso stürmischer war es in Julians Kajüte zugegangen, wo er, weil das Bett so schmal war, kurzerhand eine Decke auf den Planken am Boden ausgebreitet und nach mehr als einem Monat der Trennung das Wiedersehen mit seiner Frau gebührend begangen hatte. Jetzt lagen sie dicht beieinander auf dem Rücken, ihr Atem wurde allmählich ruhiger, und als Julian eine Gänsehaut auf Janets Oberarm ertastete, angelte er die zweite Decke vom Bett und breitete sie aus.
Janet kuschelte sich mit einem wohligen Laut zurecht, drehte sich auf die Seite und legte das Kinn auf seine Schulter. »Wirklich schon morgen?«, fragte sie.
Er zog sie näher. »Ich fürchte, uns bleibt nichts anderes übrig. Ich muss mit Megan sprechen. Jetzt wird sich herausstellen, welche Früchte ihre jahrelangen Intrigen tragen. Ich hätte ehrlich nie gedacht, dass sie so durchtrieben sein kann. Aber es ist in den letzten zwölf Jahren wohl kein Tag vergangen, da sie keine Ränke für ihren Sohn geschmiedet hat. Daran merkt man, dass sie eine Lancaster ist«, schloss er mit einem anerkennenden Grinsen.
Janet brummte missfällig. »Ich kann darin keine große Tugend erkennen.«
»Warum überrascht mich das nicht …«
»Und mein Bruder? Ging es ihm gut?«
Julian nickte. »Bevor wir uns begegnet sind, ging es ihm besser«, räumte er ein. »Aber unser Edmund hat ihn vortrefflich bewirtet und über Calais ausgefragt, und es dauerte nicht lange, bis sie die besten Freunde waren. Als ich deinen Bruder heute früh an Land gesetzt habe, war er strahlender Laune. Na ja, fast. Immer, wenn jemand Edward erwähnt, kriegt er feuchte Augen.«
Eine Spur zu hastig wandte Janet den Blick ab und nickte. Schließlich bemerkte sie: »Was immer sein Tod für England bedeuten mag, auf jeden Fall macht er deine Lage gefährlicher. Wenn Gloucester die Macht übernimmt und du ihm in die Hände fielest …«
»Ich habe nicht die Absicht, Gloucester je wieder in die Hände zu fallen«, entgegnete Julian. Natürlich war es gefährlich, was er in England tat, das war ihnen allen bewusst. Aber das war es zu Edwards Lebzeiten auch schon gewesen, und abgesehen davon war es das, was er tun wollte. Er wusste sehr wohl, seine Frau wünschte sich insgeheim, er bliebe hier an Richmonds Seite, so wie Jasper es tat, doch das konnte er nicht. Irgendwer musste den Kontakt zu Megan Beaufort und den übrigen Lancastrianern in England halten. Und es gab andere Dinge, die Julian regelmäßig nach England zurückführten.
»Nun, wenn du schon gehen musst, dann tu mir den Gefallen und nimm unsere Alice mit«, bat Janet.
Julian war erstaunt. »Alice? Aber wieso? Ich dachte, wir waren uns einig, dass es für unsere Kinder zu riskant ist in England.«
Janet hob ratlos die Schultern. »Seit zwölf Jahren hat sie niemand dort gesehen.«
»Doch viele werden erkennen, wer sie ist«, gab Julian zu bedenken.
»Lancastrianer vielleicht. Aber Yorkisten? Welcher von denen kennt dich denn gut genug, um die Ähnlichkeit zu bemerken?«
Julian setzte sich auf und lehnte sich mit dem Rücken an den schlichten Holzrahmen
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