Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
blüht, Weib.«
»Warum kannst du mich nicht ein einziges Mal beim Namen nennen, du verfluchter Bastard .« Blanche hob das Schwert und hieb mit einem kraftvollen, entschlossenen Streich die Hand ab, die noch einen grausigen Moment ihren Arm umklammert hielt und dann mit einem satten Klatschen auf dem Boden landete.
Thomas Devereux stand wie versteinert und starrte auf seine abgetrennte Hand. Dann auf das Blut, welches im Pulsrhythmus aus dem Stumpf sprudelte. Dann fing er an zu schreien.
Blanche wich vor ihm zurück. Langsam wie in einem Albtraum. Sie konnte nicht fassen, dass sie das getan hatte. Beinah so entsetzt wie Thomas starrte sie auf die Hand hinab, deren Finger immer noch zu einer Kralle gekrümmt waren. Sie werden mich einsperren, erkannte sie. Und wenn er verblutet, werden sie mich aufhängen. Die Vorstellung brachte sie zum völligen Stillstand. Sie hörte rennende Schritte im Hof, aber sie konnte sich nicht rühren.
Dann stieß Calliope sie an die Schulter. Die Stute war auseigenem Antrieb aus der Box gekommen, als hätte sie mehr Verstand als Blanche und wisse, dass Eile nottat.
Die vertraute, sachte Berührung brachte Blanche wieder zu sich.
»Komm her, du verrücktes Weibsstück! Ich dreh dir den Hals um!«, schrie Devereux. Er war vollkommen hysterisch.
Klirrend ließ Blanche das blutverschmierte Schwert zu Boden fallen, hangelte sich auf Calliopes nackten Rücken und wendete die Stute mit den Knien. Über die Schulter sagte sie: »Fragt sich nur, womit, Thomas.«
Dann preschte sie ins Freie.
Blanche floh in heilloser Panik, und wie ein Tier auf der Flucht vor dem Jäger strebte sie heimwärts und ritt in südöstlicher Richtung. Sie war kaum imstande, einen klaren Gedanken zu fassen, aber Waringham schien ihr der sichere Bau, in den sie sich verkriechen konnte.
Als sie Dorf und Gut von Lydminster weit hinter sich gelassen hatte, beruhigte sie sich allmählich. Die Weiden und Stoppelfelder waren zurückgeblieben, und sie ritt auf einem schmalen Pfad durch ein lichtes Gehölz. Durch das Blätterdach drang die Abendsonne und betupfte den Weg mit goldenem Licht. Der Wald hallte von Vogelstimmen.
Blanche hielt an und klopfte Calliope den feuchten Hals. »Danke, treueste aller Freundinnen«, murmelte sie. »Ich glaube, es ist nicht übertrieben, zu sagen, du hast mir das Leben gerettet. Zumindest vorläufig.«
Sie scheute vor dem Gedanken an das, was sie getan hatte, zurück. Sie wollte jetzt nicht die abgetrennte Kralle auf dem Stallboden vor sich sehen oder den sprudelnden Stumpf oder Thomas’ schockverzerrtes Gesicht. Sie musste nachdenken. Sie war eine Verbrecherin auf der Flucht, und Waringham, erkannte sie mit sinkendem Herzen, war der letzte Ort auf der Welt, wo sie sich hinwenden durfte. Natürlich konnte sie an den Hof gehen und sich der Gnade des Königs anempfehlen – immer vorausgesetzt, dass ihre Häscher sie nicht schnappten, ehe sieHenry fand. Er konnte überall sein, in Eltham ebenso gut wie in Windsor oder an jedem Ort dazwischen. Und sie war keineswegs sicher, ob der König ihr Asyl gewähren würde. Ob er es überhaupt konnte. Auch der König durfte sich nicht über das Gesetz stellen. Sie hatte ihren Gemahl, der vor Gott und der Welt ihr Herr und Meister war, verstümmelt. Vielleicht umgebracht. Kein Richter würde sich für die Gründe interessieren, die zu Blanches Verzweiflungstat geführt hatten. Vor dem Gesetz war sie schuldig, und jeder Sheriff in jeder Grafschaft Englands würde bald auf der Suche nach ihr sein.
Ihr blieb nur eine Chance, wurde ihr klar. »Wir müssen England verlassen, Calliope«, sagte sie. Ihre Stimme klang seltsam brüchig.
Sie wendete und ritt der untergehenden Sonne entgegen. Beim letzten Tageslicht überschritt sie die Grenze nach Wales – ohne es indes zu merken, denn kein Stein oder Schlagbaum markierte diesen Übergang von einer Lebenswelt in eine völlig andere. Der Mond war schon mehr als halb voll. Er beleuchtete die vereinzelten Schönwetterwölkchen von oben, sodass sie wie schwerelose Flocken aus silberner Wolle aussahen, und wies Blanche den Weg, bis sie so müde war, dass sie von Calliopes ungesatteltem Rücken zu rutschen drohte.
»Carmarthen«, murmelte sie schläfrig, als sie sich ins taufeuchte Gras legte. Sie hatte gehört, dass Edmund Tudor eine Burg namens Carmarthen eingenommen hatte, als sie Thomas und seinen Bruder Walter vor ein paar Wochen bei einem ihrer abendlichen Männergespräche belauscht hatte. Dort
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