Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
Gawain der liebste aller Ritter aus der englischen Geschichte«, räumte sie ein.
»Streng genommen war er Schotte«, bemerkte Jasper.
»Wie bitte?«, fragten die beiden jungen Damen wie aus einem Munde und lachten ungläubig.
Aber Jasper nickte nachdrücklich. »Glaubt mir, es ist so. Und alle Geschichten von König Artus und seinen Rittern stammen ursprünglich aus Wales. Die Engländer haben sie … wie wollen wir es nennen? Geliehen?«
»Also was bist du nun eigentlich, Jasper Tudor«, fragte Megan streng. »Engländer oder Waliser?«
»Wenn ich es herausfinde, wirst du es als Erste erfahren«, versprach er. »Lies weiter.«
Megan senkte den Kopf wieder über das Buch – eifrig, wie sie immer die Nase in Bücher steckte – und setzte ihren Vortrag fort. Sie war eine begabte Vorleserin, und nicht nur Blanche und Jasper lauschten gebannt, sondern auch der junge Rhys, wenngleich er noch nicht alle englischen Wörter verstehen konnte. Er hatte den Sessel verschmäht und saß zu Megans Füßen im Stroh, mit dem Rücken zum Kamin. Er sieht eher aus wie ein Bauernlümmel als wie ein Tudor, fuhr es Blanche durch den Kopf. Aber wenigstens schien Rhys heute ausnahmsweise einmal versöhnt mit dem Leben. Natürlich war es Megan, die dieses Wunder vollbracht hatte. Der Junge war ihr bedingungslos ergeben.
Eine Zeit lang konnte die Geschichte von Sir Gawain und dem Grünen Ritter Blanche fesseln, doch die innere Unruhe, die neuerdings ihre ständige Begleiterin war, machte es schwer, sich zu konzentrieren. Sie legte ihr Strickzeug beiseite, stand lautlos auf und trat ans Fenster.
Pembroke Castle – eine gewaltige Festung, die selbst Carmarthen in den Schatten stellte – erhob sich auf einer Klippe über der See, umschlossen von zwei flussgleichen Meeresarmen, die aus der Klippe eine Halbinsel machten. Durch die hellgrauen Butzenscheiben sah man das vom Wind aufgewühlte Meer unten schäumen, und das Rauschen der Brandung begleitetedie Burgbewohner Tag und Nacht. Jetzt im November war die See abweisend und wild, aber Blanche empfand ihr ewiges Lied als Balsam für die Seele. Megan beklagte sich gelegentlich, sie fühle sich in Pembroke lebendig begraben. Blanche hingegen war der Magie dieses Ortes vom ersten Augenblick erlegen.
»Ich bitte um Verzeihung, Mylord«, sagte der junge Madog von der Tür. »Ihr habt einen Besucher. Der Earl of Waringham.«
»Julian!«, jubelte Blanche und durchquerte den kleinen, einigermaßen behaglichen Raum mit wenigen Schritten. »Wo ist er?«
Sie hörte seinen Schritt auf der Treppe, untypisch schleppend. Auf ein Nicken von Jasper öffnete Madog die Tür weit, und Julian trat ein. Sein Blick fiel auf seine Schwester. »Blanche …«
Sie schlang die Arme um seinen Hals. »Oh, Gott sei Dank.«
»Was in aller Welt tust du hier?« Aber es klang zerstreut. Er drückte sie einen Moment an sich, machte sich von ihr los und ging weiter auf den Tisch zu. »Jasper.«
»Julian. Willkommen in Pembroke.« Eine verhaltene, fast argwöhnische Begrüßung.
Julian nickte. Als sein Blick auf Rhys fiel, geschah etwas Seltsames mit seinem Gesicht. Ein Ausdruck von Feindseligkeit huschte darüber, wie Blanche ihn noch nie bei ihrem Bruder gesehen hatte, nicht einmal, wenn er früher mit Robert aneinandergeraten war. Dann stand Julian vor Megan. Einen Moment sah er reglos auf sie hinab, schien völlig versunken in die Betrachtung ihres gewölbten Leibs. Es war geradezu unanständig, wie er darauf starrte. Schließlich hob er den Blick und schaute ihr ins Gesicht. Dann kniete er sich vor ihr ins Stroh.
Sie erwiderte seinen Blick stumm. Ihre großen Augen schimmerten, dann rannen zwei Tränen ihre Wangen hinab.
Julian nahm ihre filigranen Hände in seine. »Er ist tot, Megan. Es tut mir leid.«
Sie fuhr leicht zusammen. Immer noch schweigend sah sie ihn an, und ein flehender Ausdruck stand in ihren braunen Augen, als wolle sie ihn bitten, die Worte zurückzunehmen.
Julian senkte den Kopf. »Es tut mir leid«, wiederholte er. Es klang heiser.
Jasper trat hinzu. »Mein Bruder ist tot?«
Julian räusperte sich. »Ja.«
Megan befreite ihre Hände aus seinen, bekreuzigte sich, dann krümmte sie sich zusammen und legte die Hände über Kreuz auf die Schultern. Sacht wiegte sie den Oberkörper vor und zurück und gab keinen Laut von sich. Beinah wünschte Blanche, sie würde schreien und dem Schicksal mit den Fäusten drohen. Diese stumme Verzweiflung war kaum mit anzusehen.
Jasper hatte ihnen den
Weitere Kostenlose Bücher