Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
vor, sie leidenschaftlich küssen zu wollen. Die Mägde kreischten und sträubten sich, ließen sich jedoch immer wieder erwischen. Lucas und Algernon brachten den Knappen und den jungen Knechten Weihnachtslieder bei, von denen manche höchst unanständige Texte hatten. Vater Michael, der heute zu Gast auf der Burg war, schüttelte missbilligend das Haupt, aber er protestierte nicht. Er sei zu alt undweise, um gegen das Unvermeidliche ins Feld zu ziehen, erklärte er Julian später.
Als Daniel und die jungen Ritter den Earl entdeckten, begrüßten sie ihn stürmisch.
Julian schüttelte ihnen die Hände und ließ es über sich ergehen, dass einer nach dem anderen ihm auf die Schulter drosch. »Daniel. Noch hier, sehe ich.«
Der alte Haudegen lächelte verschämt. »Es ist so richtig heimelig ohne Robert, diese Höllenbrut.«
»Von ihm wollen wir heute nicht sprechen«, mahnte Vater Michael mit erhobenem Zeigefinger.
»Kommt, lasst uns endlich essen, ehe der arme Schwan auseinanderfällt«, schlug Lady Juliana vor.
Der Schwan war köstlich. Herrschaft, Knappen und Gesinde schmausten und feierten in Eintracht und bester Laune, und Julian spürte, dass es ihm wohl tat, hier zu sein. Er hätte nie damit gerechnet, dass ausgerechnet Waringham seine Traurigkeit lindern würde, aber dennoch war es so, und der ansteckende Frohsinn der drei jungen Ritter war allein keine ausreichende Erklärung dafür.
Nach dem Essen schickte Lady Juliana nach ihrer Harfe und spielte für die Festgemeinde, während die Mägde dafür sorgten, dass die Becher nicht leer wurden.
Erst als es dämmerte, löste die Feier sich allmählich auf, und Julian begab sich mit seinen Rittern, Daniel und Lady Juliana in das Wohngemach über dem Rosengarten, um Neuigkeiten auszutauschen.
»Wo ist Geoffrey?«, fragte er. »Er war sonst zu Weihnachten immer in der Halle.«
»Tja, du wirst es nicht glauben, Julian«, antwortete Daniel. »Unser Geoff hat sich deine Schwester endlich aus dem Kopf geschlagen und geheiratet.«
Julian spürte einen Stich. Er wusste, es war illusorisch zu hoffen, dass Blanche in absehbarer Zeit heimkehren konnte, aber er ahnte, dass es sie hart treffen würde, wenn sie das erfuhr. »Geheiratet? Wen?«
»Meine Cousine Giselle«, antwortete Lucas Durham mit einem breiten Lächeln. »Die schönste Jungfrau von London, sagten manche.«
»Das heißt nichts«, warf Algernon ein. »Denn davon gibt es in London nicht viele.«
»Gentlemen …«, schalt Lady Juliana, und die jungen Flegel senkten die Köpfe, um Reue vorzutäuschen.
In Waringham standen die Dinge so gut, wie man hoffen konnte, erfuhr Julian. Die reiche Ernte hatte ihnen zu einer Atempause verholfen. Julian lauschte dem Bericht seiner Mutter aufmerksam und hörte zwischen den Zeilen, dass nicht sie die Verwaltung der Baronie geleitet hatte, sondern Daniel und Frederic. Und sie hatten ihre Sache hervorragend gemacht, merkte er bald. Er beschloss, einen von beiden zum Steward zu ernennen, ob sie nun wollten oder nicht. Algernon, der ein besonderes Interesse für die Pferdezucht entwickelt hatte, erzählte, wie gut es mit der Erweiterung des Gestüts voranging, und Lucas, der in den vergangenen Monaten mehrmals bei seinen Verwandten in London gewesen war, deutete taktvoll an, dass die Banken an der Lombard Street unter Umständen wieder gewillt seien, dem Earl of Waringham Geld zu leihen.
»Das ist sehr ermutigend«, befand Julian. »Aber neue Schulden zu machen kann nicht die Lösung sein. Ich werd es nur tun, wenn uns andernfalls wirkliche Not droht.«
Alle nickten zustimmend.
Nach einem längeren Schweigen sagte Algernon: »Wir haben ein Gerücht gehört, Julian. Ist es wahr? Edmund Tudor?«
»Ist tot, ja«, antwortete Julian.
»Oh Jesus«, murmelte Lady Juliana. »Arme Megan.«
»Sie hält sich tapfer. Besser als ich zuerst«, gestand er offen.
»Megan kommt auf ihren Vater«, gab Lady Juliana zu bedenken. »Genau wie er verbirgt sie die Düsternis ihrer Seele hinter einem strahlenden Lächeln.«
»Du kennst sie schlecht, wenn du das glaubst«, entgegnete Julian eine Spur schroff. »In Megans Seele ist ein Licht, daskeine irdische Düsternis wirklich verdunkeln kann. Nicht auf Dauer, jedenfalls. Wer sagt, sie sei nicht so ganz von dieser Welt, hat schon irgendwie Recht. Sie ist erschüttert über Edmunds Tod, keine Frage. Sie trauert. Aber sie ist nicht untröstlich.«
»Erzähl uns von Edmund«, bat seine Mutter. »Wenn du kannst.«
Und so berichtete
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