Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
ganzen Burg war. Dort hockte er nach dem Frühstück über den Büchern, als seine Mutter eintrat.
»Entschuldige, dass ich dich störe, mein Sohn …«
Er hob den Kopf und lächelte. »Ich bin für jede Ablenkung dankbar.«
Lady Juliana setzte sich auf die gepolsterte Fensterbank, wenngleich das im Winter immer ein zugiger Platz war. »Ich habe etwas mit dir zu besprechen.«
Sie klang so ernst, dass Julian überzeugt war, sie wolle ihm irgendwelche Vorhaltungen machen. Er sagte nichts. Ihm war über die Weihnachtstage aufgefallen, dass sie offenbar an allem, was er tat, etwas zu bemängeln fand, auch wenn sie ihre Kritik selten aussprach.
»Ich werde Waringham verlassen, Julian«, eröffnete sie ihm unvermittelt. »Ich gehe nach Havering ins Kloster.«
Julian saß da wie vom Donner gerührt. Er wusste, dass seine Mutter immer für eine Überraschung gut war. Damit hätte er indessen niemals gerechnet. »Aber … aber warum? Du hasst Stille und Abgeschiedenheit«, wandte er ein. »Du hast unserzählt, du wärst beinah eingegangen, als dein Vater dich ins Kloster zu stecken versucht hat.«
Sie nickte. »Das ist sehr lange her. Menschen verändern sich, weißt du. Damals hatte ich einen Hunger nach Leben, der so stark war, dass er sich nicht unterdrücken ließ. Heute dürstet mich nach Einkehr. Und nach Frieden, auch wenn ich nicht sicher bin, ob ich ihn dort finden kann. Jedenfalls ist es nicht so trübsinnig in Havering, wie du vielleicht annimmst. Viele adlige Witwen gehen dorthin. Ich werde alte Freundinnen wiedertreffen. Es ist ein komfortables Haus mit einer berühmten Küche.«
Julian hörte ihr aufmerksam zu, aber hätte seine Mutter plötzlich arabisch gesprochen, hätte er kaum weniger verstehen können. »Wieso willst du fort aus Waringham?« Ihm kam ein Gedanke. »Hat dich jemand gekränkt? Ich weiß, Daniel hegt eine alte Schwäche für dich, hat er etwa …«
»Ach, um Himmels willen, nein.« Lady Juliana winkte ab, und zum ersten Mal lächelte sie. Doch sie wurde sogleich wieder ernst. »Ich kann nicht hier bleiben, Julian. Ich habe versucht, meine Schwermut zu überwinden, aber es will mir nicht gelingen. Jeden Tag bin ich länger am Grab deines Vaters als am Tag zuvor, lebe in der Vergangenheit und sehne sie zurück. Das macht mich bitter und neidisch auf diejenigen, die noch besitzen oder gar noch vor sich haben, was ich verloren habe. Auf dich, zum Beispiel. Eines Tages wirst du eine junge Braut nach Waringham bringen, und ich würde hier sitzen wie eine schwarze Spinne in ihrem Netz, jeden ihrer Schritte mit Missgunst verfolgen und mein Möglichstes tun, um ihr das Leben zur Hölle zu machen.«
»Als ob du das jemals tun würdest«, protestierte Julian.
»Es passiert«, gab sie zurück. »Ich habe früher manchmal Witwen gesehen, wie ich heute eine bin, Witwen, die wirklich trauern, und ich habe gedacht: Wie könnt ihr so gemein und selbstsüchtig sein, dass ihr euer Unglück unbedingt euren Kindern aufbürden müsst? Das will ich nicht.«
Er ging zu ihr, setzte sich neben sie und ergriff impulsiv ihre Hände. »Sagst du mir auch die Wahrheit? Es hat nichtsdamit zu tun, dass du krank warst? Du willst nicht zum Sterben ins Kloster?«
Sie befreite ihre Linke und legte sie lächelnd an seine Wange. »Mein armer Julian. Wie erwachsen diese paar Monate in Wales dich gemacht haben.« Sie ließ die Hand in den Schoß sinken. »Es hat nichts damit zu tun, dass ich krank war«, versicherte sie, aber Julian entging nicht, dass sie seine letzte Frage nicht beantwortet hatte.
»Wann willst du aufbrechen?«, fragte er hilflos. Er hatte das Gefühl, er hätte etwas anderes sagen sollen, aber ihm fiel einfach nicht ein, was.
»Sobald du die Zeit findest, mich hinzubringen. Ich habe der Mutter Oberin einen Brief geschickt, und sie hat geantwortet, dass ich jederzeit willkommen sei.« Mit einem schalkhaften Lächeln, das sie für einen flüchtigen Moment in die Frau von einst zurückverwandelte, fügte sie hinzu: »Was blieb ihr anderes übrig? Mein Vater hat dem Kloster ein Vermögen hinterlassen. Sie hat gar keine andere Wahl, als mich zu nehmen.«
Julian hob kurz die Schultern. »Wann immer du willst. Wir könnten …« Er brach ab, weil krachend die Tür aufflog.
»Sir, Ihr könnt nicht …«, hörte er seinen Knappen Alexander erschrocken ausrufen, und im nächsten Moment kam der Junge förmlich hereingeflogen und landete schlitternd auf den Steinfliesen. Seine Nase blutete wie ein sprudelnder
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