Das Spiel der Nachtigall
auch immer.«
»Ich habe gehört, dass er wieder zurück ist. Stefan, meine ich, und nicht alleine. Was auch immer der gehabt hat, Masern waren es nicht. Einen richtigen kleinen Tross hatte er dabei! Seither steckt er ständig mit Gerhard, Constantin und Lambert zusammen.«
Walther stand auf. »Könnt Ihr mir verraten, wo ich das Haus von Meister Stefan finde?«
* * *
Da dem Erzbischof von Köln von Gerhard Unmaze, Lambert, Constantin und ihrem Onkel beigebracht werden musste, dass er nicht den Herzog von Zähringen, sondern den König von England und dessen Neffen unterstützen solle, war es kein guter Zeitpunkt für Judith, um die Auflösung ihrer Ehe zu bitten. Also beschloss sie, erst etwas Zeit verstreichen zu lassen. Es war auch nicht so, dass es in der Zwischenzeit ein schlimmes Los war, mit Gilles verheiratet zu sein. Er hatte nie versucht, mehr zu tun, als ihre Hand zu halten oder die Lage anderweitig auszunutzen. Wenn sie sich wusch oder sich umzog, blieb er aus dem Zimmer. Sie mochte ihn gerne, auch wenn ihm die Medizin ein Buch mit sieben Siegeln war. Er hatte dafür viel gesehen und erlebt, von dem er erzählte, und half ihr, wenn sie für den Besuch bei Patienten oder den Ölverkäufern einen Begleiter brauchte. Seit Stefan ihn seiner Familie als ihren Gemahl vorgestellt hatte, war auch seine Gattin freundlicher zu ihr. Auch eine der reicheren Bürgerinnen, die ein Kind erwartete und bisher nicht bereit gewesen war, sich von Judith behandeln zu lassen, war nun, da diese Entbindung bevorstand und Judith eine ehrbare verheiratete Matrone war, einverstanden.
»Ihr müsst zugeben, dass es für eine Ärztin etwas merkwürdig aussah, ledig zu sein«, erklärte die ehrenwerte Richildis, Gattin eines Salzhändlers. »Eine unvermählte Frau, die keine Nonne ist, sollte nicht mit den Leibern der Menschen auf so eine Art zu tun haben, das findet jedenfalls mein Gatte. Ich kann ihm da nicht widersprechen, aber nun seid Ihr ja eine von uns!« Sie seufzte. »Meine Füße sind ständig geschwollen. Ich kann es nicht abwarten, bis das Kind endlich da ist, selbst, wenn eine Frühjahrsgeburt besser gewesen wäre.«
»Nun, neun Monate sind neun Monate, daran lässt sich nichts ändern, doch gegen Eure geschwollenen Füße kann ich etwas tun. Badet sie in heißem Salzwasser und lagert sie dann hoch, wenn Ihr könnt, das wird Euch helfen.« Es ging Judith durch den Kopf, dass viele Frauen, die sie behandelte, es sich nicht leisten konnten, Salz für ihre Füße zu verwenden. In Salerno war das kein Problem, weil es Meerwasser für jedermann gab, aber hier in Köln musste man die Gattin eines reichen Mannes sein wie Richildis, um so viel Salz zur Verfügung zu haben, wie dafür nötig war. Es wäre gut, sich nach einem Mittel umzusehen, das auch ärmere Frauen verwenden konnten. Brombeersaft vielleicht, in erhitztes Wasser gegossen? Aber Brombeeren gab es nur im Sommer und im frühen Herbst.
»Magistra«, sagte Richildis und räusperte sich, »ich habe da noch eine Frage. Mein Gemahl, nun, er leidet an etwas, das … er will nicht zu einem Arzt gehen. Er hat zu große Angst, dass er dann zum Gespött von Köln wird. Aber ich dachte, jetzt, wo Ihr selbst verheiratet seid … Also, gibt es ein Mittel gegen geschwollene Hoden?« Sie senkte ihre Stimme. »Seine Freunde würden sagen, dass er nur eine Frau braucht, jetzt, wo meine Stunde nahe ist, aber mein Mann schwört mir, dass es nicht daran liegt … nun, gibt es ein Mittel?«
Es war eine Beschwerde, von der Judith vor Salerno nie gehört hatte, weil ihr Vater sie bei all seinen Lehren und ganz gleich, wie sie ihm zur Hand gehen durfte, doch von einigen Dingen ferngehalten hatte. In Salerno jedoch hatte ein Mitstudent während einer Debatte versucht, sie durch diese Frage in Verlegenheit zu bringen, und sie hatte die Antwort in den Schriften Trotas gefunden. »Das gibt es. Ihr braucht Wermut, Eibisch, Eisenkraut, Beifuß, Bilsenkraut und außerdem Kohl. Kocht diese Zutaten in altem oder starkem Wein, macht aus dieser Flüssigkeit feuchte Umschläge und wickelt seine Hoden zwei oder drei Mal pro Tag darin ein.«
»Und es ist auch bestimmt ein christliches Mittel?«, fragte Richildis. Judith biss die Zähne zusammen.
»Das ist es in der Tat.«
Auf dem Rückweg ertappte Judith sich dabei, wie sie Richildis für Gilles nachahmte. Sie erzählte nichts davon, um welche Beschwerde es sich handelte, das hätte gegen ihren Eid verstoßen, doch sie gab Richildis’ Stimme
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