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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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sich lassend, sagte sie laut: »Werdet Ihr diesen frommen Wunsch vor der Herzogin wiederholen, Herr, oder soll ich das tun? Vielleicht bleibt Ihr dann doch noch etwas länger Gast an diesem Hof, während mein Vater den Herzog rettet.«
    Das Lächeln verschwand aus dem Gesicht des Mannes. Er blieb stehen und trat näher, so nahe, dass sie die Flecken in seinen wasserblauen Augen erkennen konnte.
    »Die Herzogin wird sehr bald Witwe sein, nur noch dazu gut, sich in ein Kloster zurückzuziehen. Aber vorher kann sie noch einen Zweck erfüllen. Deswegen bringe ich dich zu ihr: Männer reden im Bett, und vielleicht hat ihr der teure Gemahl verraten, wo er den Rest unseres Geldes versteckt hat.«
    Mit einem Mal machte Salomon, der bis dahin gleichzeitig verängstigt und empört dreingeschaut hatte, eine Miene, als seien ihm sehr viele Dinge klar; der Edelmann, der nur auf Judith blickte, bemerkte dies nicht.
    »Euer Geld?«, wiederholte sie mit fester Stimme, um zu zeigen, dass sie nicht im Geringsten eingeschüchtert war.
    »Ah, ich vergaß, mich vorzustellen«, erwiderte er mit höhnischem Lächeln. »Otto von Poitou. Ehe der Herzog meinen Onkel freiließ, forderte er Geiseln, um sicherzustellen, dass Richard ihn nicht umbrachte oder das Land verwüstete und dass auch die letzte Silbermark bezahlt würde. 100000 Mark in Silber, mehr als zwanzig Wagen voll. Die Hälfte hat der staufische Kaiser eingeheimst, dieser Dreckskerl, aber der Rest ist hier in Österreich eingetroffen. Unrecht Gut gedeihet nicht, wie man sieht, also werde ich dem zukünftigen Herzog nur einen Gefallen tun und es nach England zurückbringen, zumindest das, was davon noch übrig geblieben ist.« Er griff ihr unter das Kinn, was Salomon entrüstet aufstöhnen ließ. Otto achtete nicht auf ihn. »Ihr Juden seid doch gut darin, Geld aufzuspüren, oder etwa nicht? Misch der Herzogin ein Tränklein, welches sie zum Reden bringt, oder veranstalte sonst einen Hokuspokus, das kümmert mich nicht. Aber denke daran, wenn der Herzog deinem Vater unter den Händen wegstirbt, dann wird er einen Beschützer brauchen, und ihr solltet dafür etwas zu vergeben haben.«
    Das Kind in Judith wollte mit dem Fuß aufstampfen und fragen, wie er als Geisel an einem fremden Hof, gerade selbst freigelassen oder nicht, jemanden beschützen wollte. Aber sie war kein Kind mehr. Sie wusste, dass der Mann mit ihr machen konnte, was er wollte. Ihr Vater hatte recht gehabt, er hatte wieder recht gehabt, und sie sich geirrt. Es gab hier niemanden, dem das Leben eines Juden etwas bedeutete. Noch dazu war Otto der Neffe eines Königs, und ganz gleich, ob dieser ein Feind der herzoglichen Familie war oder nicht, das stellte ihn so hoch über sie, dass sie selbst als Christin ein Nichts im Vergleich dazu gewesen wäre.
    Also muss ein Nichts ein Etwas werden, schoss es ihr durch den Kopf. Und in diesem Moment begriff sie Salomons Miene, als Otto von dem Geld angefangen hatte. Es kitzelte sie, ihrem Gegenüber ins Gesicht zu lachen, denn durch Salomon wussten sowohl ihr Vater als auch Judith, was aus dem englischen Silber geworden war. Doch es war keine Antwort, die Otto gefallen würde. Daher musste sie eine andere Art und Weise finden, um sicherzustellen, dass ihrem Vater und ihr nichts geschah. Wie, das wusste sie noch nicht. Sie wusste nur, dass ihr Vater und sie diesen Hof wieder lebend verlassen würden, und nicht, indem sie diesem Königsneffen gab, was er wollte. Nein. Ein Floh kann selbst einen König beißen, dachte Judith und zwang sich, demütig zu schauen, und ganz gewiss einen Königsneffen.
    »Ich werde tun, was Ihr wünscht, Herr«, flüsterte sie. Da es genau das war, was er von den meisten Menschen in seinem Leben hörte, zweifelte er nicht einen Herzschlag lang daran, dass sie es auch so meinte.
    »Tu das«, sagte er und ließ sie wieder los. Erst da fiel ihm das entgeisterte Gesicht Salomons auf. »Aber warum denn so bekümmert?« Er klopfte ihm auf die Schulter und grinste. »Eure hübsche kleine Base hier wird gleich der Herzogin vorgestellt werden!«

    Die Herzogin Helena war sechsunddreißig Jahre alt; viele der Frauen in diesem Alter, die Judith kannte, hatten bereits einige Zähne verloren, und ihr Haar war voller grauer Strähnen. Wie es um das Haar der Herzogin bestellt war, konnte man nicht erkennen, da sie, wie jede verheiratete Frau ihres Standes, nicht nur eine Leinenbinde um Wange und Kinn, sondern auch einen Schleier auf ihrem Kopf trug, der von einem

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