Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
Vom Netzwerk:
Apfel mit den Augen verfolgten, als könnte der für sie die Rettung vor dem Hungertod sein.

    Ihre Base, die Braut des Andechs-Meraniers, sollte am Albanstag getraut werden, am 21. Juni. Weil Philipps Zug durch das Reich so langsam vorangekommen war, trafen sie erst am Vorabend der Hochzeit in Bamberg ein. Bischof Eckbert hatte ihnen ständig Boten entgegengeschickt, und der Vater musste ihm jedes Mal das Gleiche geantwortet haben: dass er noch rechtzeitig einträfe und nichts verschoben werden müsse.
    Es war ein Freitag, der Beatrix und ihre Familie in Bamberg begrüßte, also gab es kein Fleisch zu essen; das war gut so, nach den letzten Erfahrungen mit den hungernden Bauern. Eigentlich war ein Empfangsmahl vorgesehen, aber weil morgen nichts schiefgehen durfte und es noch so viel mit den Leuten des Bischofs zu bereden gab, wurde darauf verzichtet.
    Am nächsten Morgen stand Beatrix in ihrem feinsten Kleid aus byzantinischer Seide, purpurn und kostbar bestickt, im Dom zu Bamberg, der immer noch zum großen Teil aus Gerüsten und Brettern bestand, und schaute zu, wie ihre Base mit dem zukünftigen Herzog von Andechs, Istrien und Kroatien vermählt wurde. Neben ihr stand die Königin von Ungarn, seine Schwester, hochgewachsen im Gegensatz zu Beatrix’ eigener Mutter. Gertrud sah ein wenig so aus, wie sich Beatrix Brünhild in dem Lied vorstellte, aus dem ihr Herr Walther manchmal vorgetragen hatte: höchst erhaben, aber ganz und gar nicht glücklich. Ihr Mund war zusammengepresst, und ihre Hände waren zu Fäusten geballt. Es war, als heirate ihr Bruder nicht eine Nichte des deutschen Königs, sondern versänke vor ihren Augen in einem Sumpf. Beatrix wusste nicht, ob sie beleidigt sein sollte, aber sie war stolz auf ihre Mutter, der die Miene der ungarischen Königin auch aufgefallen sein musste, die aber anders als Kriemhild trotzdem keine Bemerkung darüber machte und der Königin sogar den Vortritt ließ, als die Hochzeitsgesellschaft den Dom verließ, obwohl sie nicht nur Königin der Deutschen, sondern auch die Tochter eines Kaisers von Ostrom war.
    »Was geschieht jetzt?«, fragte Beatrix leise, als Gertrud von Ungarn davongerauscht war.
    »Dein Vater begleitet das neuvermählte Paar ein Stück aus der Stadt heraus«, erklärte ihre Mutter. »Dann kehrt er zurück und ruht sich ein wenig aus. Schließlich steht uns allen heute Abend noch ein großes Fest bevor.« Eigentlich wunderte es Beatrix, dass Braut und Bräutigam sofort die Stadt verließen, aber ihr neuer Vetter hatte darauf bestanden und erklärt, dass seine Verwandten für ihn mitfeiern würden.
    Als sie die Domtreppe hinunterlief, traf sie etwas auf die Stirn. Beatrix hob die Hand, wischte es fort und erkannte, dass es sich um den Kot eines Vogels handelte. Angeekelt verzog sie das Gesicht, doch sie wusste es besser, als den Handrücken auf ihrer kostbaren Purpurrobe abzustreifen. Hastig ging sie zum Treppengeländer, dessen Sandstein schon Schlimmeres erlebt hatte. Dabei fiel ihr Blick in die Menge. Eines der Gesichter kam ihr bekannt vor – dort stand, lebhaft winkend, kein anderer als Herr Walther!
    Beatrix öffnete den Mund, um ihre Mutter auf ihn hinzuweisen, bis sie sich erinnerte, dass die Mutter wohl böse auf Herrn Walther war. Die Magistra gehörte nicht zur Hochzeitsgesellschaft; sie kümmerte sich um ihren Gemahl, der an Bamberg schlechte Erinnerungen zu haben schien und deswegen auf der Burg geblieben war. Also gibt es nichts, was sie kränken kann, dachte Beatrix, und winkte zurück. Herr Walther rief etwas, doch in dem allgemeinen Jubel der Menge konnte sie ihn nicht verstehen, also schenkte sie ihm nur ein Lächeln, um zu zeigen, dass zumindest sie ihm nicht böse war, und warf ihm eine Kusshand zu.
    Da Irene im dritten Monat schwanger war, wurde ihr öfter übel, und sie kehrte nicht auf die Burg zurück, sondern nahm die Gastfreundschaft des Bischofs in seiner Residenz nahe der alten Kaiserpfalz in Anspruch, an die sich Beatrix noch schwach erinnerte. Auf dem Weg dorthin fiel ihr ein, wie sie die Erlaubnis erwirken konnte, etwas anderes zu tun, als herumzusitzen und auf das Festmahl am Abend zu warten.
    »Kunigunde ist nach der Stadtheiligen benannt«, sagte sie zu ihrer Mutter, »da gehört es sich doch, dass sie an ihrem Grab betet. Ich glaube, das würde den Leuten hier gefallen. Und sie daran erinnern«, setzte Beatrix listig hinzu, »dass unser Vater das Grab gestiftet hat.«
    »Du bist bald nicht mehr mein kleines

Weitere Kostenlose Bücher