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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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jedoch eine Ahnung, was es hieß, Poesie und Lieder wie den Atem zum Leben zu brauchen; die eigenen, die man verfasste, und die der anderen, die einen erst richtig anspornten, um noch besser zu werden.
    Endlich stützte Reinmar den Kopf in seine Hände und murmelte: »Warum? Warum diese Geschichte? Und wenn er sie schon wählte, warum dann nicht mit dem Drachen beginnen, mit Siegfrieds Heldentaten? Stattdessen fängt er mit Kriemhild an. Er muss die Vorgeschichte erzählen. Und wie viele Aventüren sind geplant?«
    »Ich wusste, dass du nicht genug davon bekommen kannst. Das ging mir ganz genauso«, sagte Walther und grinste. »Hast du selbst jemals daran gedacht, ein solches Epos zu schreiben?«
    »Nein, und ich kann dir jetzt schon prophezeien, dass du selbst nie eines verfassen wirst«, sagte Reinmar scharf. »Dir fehlt die Geduld, um viele Jahre an einem einzigen Stoff zu arbeiten.«
    »Unwidersprochen. Aber du hast sie, die Geduld. Warum also nicht?«
    »Es ist nicht meine Form«, gestand Reinmar. »Ich habe sie nie gemeistert.« Seine Finger trommelten auf den Tisch. »Von wem stammt dieses Heldenlied? Der Stil ähnelt dem des Kürenbergers, vor allem die Stelle mit Kriemhilds Traum von ihrem Falken, doch der ist tot, schon zwanzig Jahre und mehr. Bligger von Steinach vielleicht?«
    »Ich musste tiefste Verschwiegenheit geloben«, sagte Walther so aufrichtig und ehrenhaft, wie er konnte. Sofort schaute Reinmar wieder misstrauisch.
    »Woher stammt dieses Pergament?«
    »Reinmar, wenn ich dir das erzähle und mein Wort breche, dann werde ich weitere Teile nicht erhalten, und du und ich werden den Rest erst im hohen Alter von einem Spielmann hören, wenn wir bereits halb taub sind. Nun, wenn ich halb taub bin, denn du liegst dann wahrscheinlich schon in deinem Grab und wartest auf das Jüngste Gericht. Nun bin ich sicher, dass dir, im Gegensatz zu mir, ein Platz an der Seite des Herrn gewiss ist, als Kreuzfahrer und immer ehrenhafter Ritter, aber die Geschichte der Nibelungen wirst du im Himmel bestimmt nicht zu Ende hören.«
    Reinmar presste die Lippen zusammen, seine Schultern zuckten – dann gab er seinen mannhaften Versuch der Selbstbeherrschung auf und brach in Gelächter aus, tief und schallend, wie er es in Walthers Gegenwart seit weit mehr als zwei Jahren nicht mehr getan hatte. Doch als er wieder sprach, klang seine Stimme sehr traurig. »Walther«, fragte er, »warum tust du das?«
    »Komplimente und Danke hört jeder Mann gerne, aber wenn du wirklich eine schmeichelhafte Wahrheit zweimal hören möchtest …«
    »Nein. Du hättest die Abschrift hierlassen und wieder gehen können. Stattdessen bleibst du und bringst mich zum Lachen, nachdem ich es war, mit dem du die letzten Jahre andere zum Lachen gebracht hast. Warum erinnerst du mich daran, wie leicht es ist, dich gernzuhaben, wenn doch der morgige Tag, die nächste Stunde bereits wieder zeigen wird, dass du und ich nicht am selben Ort sein können, ohne dass Grimm und Bitterkeit zwischen uns fällt.«
    Walther hätte darauf eine leichtfertige Antwort geben können, doch dieses Mal war ihm nicht danach. »Mag sein, dass wir nicht mehr lange am selben Ort sein werden«, sagte er leise.
    Reinmar neigte den Kopf zur Seite, als glaube er nicht, was er da hörte. »Ich weiß, dass ich dich damit verhöhnt habe, doch gestatte mir, auch in einer sanfteren Stunde zu bezweifeln, dass du mit Herrn Friedrich in das Heilige Land ziehen willst.«
    Dafür hatte Reinmar, so gestand sich Walther ein, guten Grund. Tatsächlich musste er sich bald entscheiden, was er tun wollte. Herzog Friedrich und der Kaiser hatten den Kreuzzug eine Weile hinausgeschoben, doch nun waren die Vorbereitungen fast abgeschlossen, und es ließen sich nicht länger gute Gründe aufführen, um weiter in der Heimat zu verweilen. Die Hochzeit in Frankfurt war das Zeichen zum Aufbruch, für den Kaiser wie für den Herzog. Nach zwei Jahren Herrschaft in der Steiermark war Leopold durchaus zuzutrauen, als Regent von ganz Österreich nicht zu versagen.
    Auch Bischof Wolfger hatte erklärt, das Kreuz zu nehmen und an Friedrichs Seite ins Heilige Land zu ziehen. »Saladin ist tot«, hatte er erklärt. »Er hat ehrgeizige Söhne, von denen jeder auf den Thron will. Nie war die Gelegenheit günstiger, die Heiligen Stätten für die Christenheit zurückzuerobern. Da darf es keine weiteren Verzögerungen geben. Dafür werde ich mit eigenen Händen sorgen, wenn es sein muss! Der Heilige Vater hat

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