Das Spiel der Nachtigall
es vor, in Klöstern unterzukommen oder die Gastfreundschaft edler Herren in Anspruch zu nehmen.«
»Edle Herren haben höchstens für sich selbst Frauen am Hof, die wirklich schön sind. Hübschere schickt die Herrin fort, wenn sie darf, damit ihr Mann zu Hause bleibt und nicht bei fremden Früchten nascht; das gilt selbst für die Mägde. Wann hast du zuletzt erlebt, was Hände und Finger noch entdecken können bei einem Körper, gestaltet wie eine vollkommene Landschaft, mit Hügeln und Tälern, wo sie hingehören, mit Lippen, die geküsst werden wollen, wo immer du sie gefunden hast? Wann hast du zuletzt das Lachen einer Frau gehört, das alle Arten von Gefühlen bei einem Mann erzeugen kann, Reinmar? Bei Hofe ist dieser Ton verklungen, nachdem die Herzogin mit ihrer Hofdame Martha gleich nach dem Tod des Herzogs ins Kloster gegangen ist. Komm, gehe mit mir in eine Schenke, besser noch ein Badehaus, und du wirst deine Verse zukünftig auch anders setzen, das versprech ich dir.«
Reinmar blickte drein, als habe er bei der Beichte soeben gehört, er müsse als Buße eine Wallfahrt ins Heilige Land machen. »Auf keinen Fall«, keuchte er, »gehe ich mit dir in ein Badehaus. Was sollen die Leute von mir denken?«
Dass du eine Frau wirklich dringend nötig hast, wenn du beim Badehaus an Dirnen denkst, weil in dem größten, das wir in Wien haben, nämlich getrennt gebadet wird, dachte Walther, aber antwortete stattdessen: »Dann wenigstens in eine Gastwirtschaft. Glaub mir, die Leute dort sind auch nicht lauter als eine Hofgesellschaft zu später Stunde. Aber dafür muss man nicht ständig auf jedes Wort achten. Komm schon, Reinmar, gönne dir das Vergnügen, dich einmal gehenzulassen. Ich lade dich ein. Nimm es als Entschuldigung dafür, dass ich dein So wohl, dir, Weib! Wie ist der Name rein! so durch den Staub gezogen habe, und wenn ich morgen mit einem schweren Kopf aufwache, dann kannst du sogar behaupten, dass Gott mich gebührend dafür bestraft hat.«
Noch zwei-, dreimal ließ Reinmar sich bitten, doch man konnte erkennen, dass die soeben geteilte Lektüre des Nibelungen-Fragments, über die Reinmar weiter reden wollte, und Walthers unerwartetes Geständnis ihn genügend gerührt hatten, um mit einem gemeinsamen Ausflug in die Stadt einverstanden zu sein. Vielleicht war er es auch leid, ständig gekränkt sein zu müssen, und hatte nichts dagegen, die Klagen mit einem vergnügten Abend zu unterbrechen. In jedem Fall sagte er zu.
Der Hof hielt sich gerade in Wien auf, so dass sie noch nicht einmal Pferde bemühen mussten. Es dauerte nicht lange, bis sie eine Schenke fanden, die Walther gerade recht vorkam, gut besucht, mit einem Stimmengewirr, das kein rein männliches war. Nicht nur war ihm selbst nach weiblicher Gesellschaft, er wollte auch seine alte Theorie erproben, dass Reinmar einfach viel zu lange keine Frau mehr im Arm gehalten hatte. Kein Gespinst, schön, blutleer, überheblich – eine wirkliche Frau.
Der Abend ließ sich vielversprechend an, denn neben zwei Schankmägden, beide nicht übel ausgestattet, gab es ein paar Frauen, die auch ein wenig zu enge Obergewänder trugen, um überaus ehrbar zu erscheinen. Das Beste jedoch war, dass der Spielmann, der sich hier Speise, Trank und etwas Geld bei den Gästen verdiente, nur kurze Zeit nach ihrem Eintritt eines von Walthers Liedern zu spielen begann.
»Das hast du mit ihm verabredet«, sagte Reinmar anklagend.
»Aber nicht doch. Kann ich dafür, wenn Musikanten Gefallen an guten Liedern finden?«, fragte Walther und musste sich sehr zurückhalten, um dem Spielmann nicht sofort einen Krug Bier zukommen zu lassen. Das Lied hatte er im letzten Jahr gedichtet, ein Frühlingslied, das eigentlich dem Mai galt, und es war erst März, doch wen kümmerte das? Der Winter hatte lang genug gedauert.
Wollt ihr schauen, was dem Maien
Wunder ist verliehen?
Seht die Pfaffen, seht die Laien,
Wie sie all’ hin ziehn!
Groß ist seine Gewalt.
Wirkt er denn durch Zauberlist?
Wo in seiner Wonn’ er ist,
Niemand ist da alt!
Der Spielmann hatte, das musste Walther neidlos eingestehen, eine bessere Stimme als er selbst und brachte ein paar der Gäste dazu, mit einzustimmen.
»Oh, du wirst ganz bestimmt einen ganz schweren Kopf morgen haben«, brummte Reinmar. »Eitelkeit macht noch stärker trunken als jeder Wein.«
»Das wäre herauszufinden«, sagte Walther und bestellte vom besten Wein bei der Schankmagd. Währenddessen wurden seine Verse jetzt sogar von ein
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