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Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)

Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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zurück pendelte und deren Augen und Mund weit aufgerissen waren, ohne dass mehr hervorgekommen wäre als das heisere Stöhnen. Der Scharfrichter stand in einer Ecke, die Hände hinter dem Rücken zusammengelegt, ein Symbol absoluter Indifferenz. Ich konnte nicht erkennen, wer sich zum Richter aufgeschwungen hatte, wenn es nicht der Bürgermeister selbst getan hatte; aber in der Peinkammer befanden sich außerdem noch zwei Männer mit den Tonsuren von Klerikern, deren unterschiedliche Kleidergüte nahe legte, dass der eine bestenfalls ein Mönch oder Priester war und der andere ein Abt oder Domherr. Der Angeklagte stöhnte tonlos und wiegte seinen Oberkörper vor, zurück, vor, zurück; nichts, was ich nicht ebenfalls schongesehen hatte, wenn mich selbst das Schicksal ereilt hatte, einer peinlichen Befragung im dritten Grad beizuwohnen. Irgendwann wurden Schock und Schmerz zu groß, als dass Schreie sie noch hätten ausdrücken können. Dann sah ich, dass der Marterkittel ein Brustteil hatte und vor den bloßen Oberkörper des Angeklagten gebunden war, und das verzerrte Gesicht unter dem geschorenen Schädel und die schmale Gestalt des Angeklagten bekamen plötzlich weibliche Züge. Ich wusste, wen sie hier auf der Bank sitzen hatten: die Frau, die gestern als Hexe verhaftet worden war.
    »Das war ein großer Fehler, procurator«, sagte der Mann, der wie ein Domherr gekleidet war. Sein Gesicht war ebenso gerötet wie das des Bürgermeisters. »Das wird Folgen haben.«
    Jos Onsorg blieb dicht vor mir stehen und starrte mich an, ohne mich zu sehen. Ich erkannte, dass eine Wut in ihm kochte, die diejenige, die er bei der Konfrontation mit Gregor gestern Morgen gezeigt hatte, weit übertraf. Er drehte sich um und stapfte wieder zur Tür zurück, ohne die Peinkammer zu betreten.
    »Ich hoffe, dass es Folgen haben wird«, zischte er. »Am meisten für Sie und für Sankt Ulrich, Pfaffe.«
    »Die Anrede ist ehrwürdiger Vater«, protestierte der ärmlich gekleidete Priester.
    »Was Sie hier getan haben, spottet jedem Recht«, sagte der Propst von Sankt Ulrich laut. »Das Blut der Unschuldigen kommt über Sie.«
    »Das Blut der Unschuldigen?«, schrie Onsorg. »Haben Sie schon das Blut draußen auf dem Pflaster gesehen? Es ist aus dem zerschmetterten Schädel geronnen wie aus der Kehle einer gestochenen Sau! Meinen Sie dieses Blut?«
    »Ich meine das Blut eines jeden, den Sie und Ihre Haltung auf dem Gewissen haben!«, schrie der Propst zurück.
    Die Frau auf der Bank begann noch lauter zu stöhnen und noch wilder mit dem Oberkörper zu pendeln. Über ihre Wangen liefen Tränen. Der Priester machte ein Kreuzzeichen über sie, ohne dass es irgendeine Wirkung gezeigt hätte. Er machtedas Kreuzzeichen auch über seinen eigenen Oberkörper. Der Scharfrichter sah ihm mit unbewegtem Gesicht zu.
    Onsorg holte aus und trat mit dem Fuß gegen die steinerne Wand.
    »Worauf wartest du!«, brüllte er den Scharfrichter an, dass seine Stimme überschnappte. »Renk ihr die Arme wieder ein, du Idiot!«
    »Das können Sie nicht tun ...«, begann der Propst.
    »Ich bin der Bürgermeister. Ich habe hier zu sagen!« Onsorg deutete auf den Scharfrichter. »Renk ihr die Arme auf der Stelle wieder ein, Meister Hans, oder ich schwöre dir, wie ich hier stehe, ich sorge dafür, dass dein Knecht dein Amt bekommt und du der Erste bist, gegen den er das Schwert schwingen wird.«
    Der Scharfrichter verzog das Gesicht und trat an die Angeklagte heran. Ich wich beiseite, um es nicht sehen zu müssen.
    »Und ihr anderen, raus hier!«, rief Onsorg. »Raus mit euch, Pfaffengesindel!«
    Der Propst von Sankt Ulrich keuchte vor Empörung. Ich hörte den Ruck, mit dem der Scharfrichter versuchte, das Schultergelenk der Angeklagten wieder zu richten, und das Knacken, mit dem die Knochen einschnappten. Die Frau schrie schrill auf.
    »Wir sind hier mit Erlaubnis des Stadtvogtes«, erklärte der Propst wütend. »Wir dürfen ...«
    »Der Stadtvogt ist drüben in der Metzg und versucht herauszufinden, wer den beschissenen Bettler erschlagen hat!«, brüllte Onsorg. »Ich wette, dass er gar nicht weiß, dass Sie hier sind! Soll ich die Waibel holen, die das Volk dort festhalten, damit Sie mit Gewalt aus dem Rathaus geschafft werden?«
    »Sie wagen es nicht, Hand an den ehrwürdigen Vater zu legen ...«
    »Ich kann ja stattdessen mit dir anfangen, Mönchlein«, zischte Onsorg.
    »Sie sind besessen ...«, flüsterte der Mönch, und ich war sicher, dass er erneut das

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