Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)

Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
Vom Netzwerk:
Herrenstube, und der Betrunkene trat noch mit den Füßen, als die Waibel ihn längst hinüberschleppten zur Metzg, um ihn dort erst mal festzuhalten.«
    »Warum haben Sie und der Vogt nicht schon eher eingegriffen?«
    »Weil wir es erst merkten, als jemand zufällig ans Fenster trat. Das Ganze geschah völlig lautlos. Der Betrunkene gab keinen Ton von sich, und die Meute um ihn herum war nicht lauter als bei einer beliebigen Feilscherei. Das war das Gespenstische an der ganzen Sache: der Betrunkene, der vollkommen stumm seinen Gegner zu Klump trat. Und das alles wegen eines lumpigen Trödels, den ihm der Bettler zu verkaufen versuchte.«
    Er kramte in seiner Gürtelbörse und förderte etwas zum Vorschein. Er hielt es in der gekrümmten Hand und betrachtete es. »Der Unselige hatte ein ganzes Dutzend dieser Dinger beisich. Sie lagen um seinen Leichnam verstreut, als wären sie vom Himmel gefallen.« Er hielt es mir unter die Nase, aber ich wusste schon, was es war. Mein Mund war trocken. Es war ein aus Stroh geflochtenes, unschönes, ungeschicktes, überflüssiges und blutbeflecktes kleines Symbol. Ich wusste, wie der Bettler aussah, der auf dem Pflaster vor dem Rathaus zu Tode getreten worden war.
    »Ich habe Sie vorhin angelogen«, sagte Onsorg. »Wenn Sie Ihre Tochter gefunden haben, bringen Sie sie von hier weg. Hier ist zurzeit niemand sicher.«
    »Wer sagt Ihnen, dass ich sie wegbringen will?«
    »Weil Sie nicht hierher gehören. Nicht mehr. Und deshalb werden Sie wieder verschwinden, wenn Sie Ihre Tochter gefunden haben. Ich weiß Ihren Namen nicht mehr, aber als Sie den Bischof damals verlassen haben, hat das einen ganz schönen Skandal gegeben. Sie sind doch nicht überrascht, dass ich herausgefunden habe, wer Sie sind?«
    »Es gibt immer zwei Seiten an einer Geschichte.«
    Er lachte freudlos. »Das sagen Sie?«
    »Was meinen Sie damit?«
    »Sie sind doch selbst nicht in der Lage zu erkennen, welche zwei Seiten eine Geschichte hat, wenn Sie direkt vor Ihrer Nase aufgeführt wird.«
    Ich starrte ihn an. Plötzlich hatte ich das Gefühl zu verstehen. Ich merkte, wie mir das Blut in die Wangen stieg. Onsorg betrachtete mich ohne äußerlich sichtbare Gefühlsregung.
    »Der Stadtvogt hat die Angeklagte in die Peinkammer schaffen lassen, damit der Propst und sein Mönchlein sie befragen konnten!«
    »Nicht befragen«, erklärte Onsorg. »Befragen geht anders. Und der Stadtvogt war gar nicht informiert; sie haben über seinen Kopf hinweg gehandelt. Sie wollten einfach ein Geständnis hören, dass sie die Schweine ihres Nachbarn mit dem bösen Blick umgebracht und des Nachts dem Teufel den Arsch geküsst hat. Seit der schwule Engländer heuer im Frühjahr in letzter Sekunde vom Scheiterhaufen gesprungen ist, hat der Propst sichvorgenommen, dass nicht noch einmal ein Teufelsanbeter dem Feuer entkommt, und die Hälfte des Klerus ist auf seiner Seite. Und seit es die zwei Toten im Haus Hoechstetter gibt, ist auch ein Teil des Rates zu ihrer Fraktion gewechselt.«
    »Sie haben einen einsamen Kampf gewählt, wenn Sie versuchen wollen, den Aberglauben im Zaum zu halten.«
    »Sie brauchen mir nicht zu schmeicheln.«
    Ich sagte nichts. Er blickte zu den Menschen bei der Metzg hinüber und gab sich einen Ruck. »Sind Sie wirklich hier, um nach Ihrer Tochter zu suchen?«
    Auch die halbe Wahrheit ist eine Lüge. Ich versuchte, sie mir nicht anmerken zu lassen. »Ja.«
    »Was ist geschehen?« Ich zögerte einen Moment. »Wenn Sie schon hergekommen sind, um die Hilfe der Behörden zu suchen, dann hätten Sie sich vorher überlegen sollen, ob es Ihnen damit auch ernst ist.«
    »Sie ist die Witwe eines Fernhändlers der Familie Hoechstetter«, sagte ich seufzend. »Niemand weiß, wo sie sich aufhält. Der Faktor der Hoechstetter zahlt ihr nicht einmal mehr den Witwenpfennig aus – nicht, dass ihn das sonderlich beunruhigte.«
    »Sind Sie sicher, dass sie überhaupt noch in Augsburg ist?«
    »Ich habe sie gesehen.«
    Er zuckte mit den Schultern. Er war zu sehr in seinen eigenen Problemen gefangen, um zu bemerken, welchen Schrecken er mit seinen nächsten Worten auslöste: »In dieser Stadt schleicht ein Mörder herum, und ...«
    »... und als das letzte Mal eine ähnliche Sache passierte, waren die Opfer junge Frauen!« Ich schnaubte. »Sie brauchen mich nicht daran zu erinnern, verdammt noch mal.«
    Er hob den Finger und tippte mir auf die Brust. »Der Kerl damals lag plötzlich tot in seiner Zelle und konnte nichts mehr dazu

Weitere Kostenlose Bücher