Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)
Gregor ballte die Faust und gab sich die Antwort selbst. »Weil sie nicht wissen, was drin steht.«
»Falsch«, sagte ich. »Sie wissen genau, was drin steht. Sie wollen nur sicher sein, dass nichts fehlt.«
Gregor ließ die Schultern sinken. »Habe ich irgendwas überhört, oder bist du nicht in der Lage, die Geschichte zusammenhängend zu erzählen?«
Ich achtete nicht auf seine Stichelei. »Dädalus und Stinglhammer steckten gar nicht zusammen unter einer Decke, um irgendeine Gaunerei zu begehen. Es waren Dädalus und jemand anderer. Und Stinglhammer hatte es rausgefunden.«
»Wieso sollte ausgerechnet Stinglhammer ...?«
»Gregor«, sagte ich und sah ihn an, »wenn du dich dort drin vor Jakob Fugger nicht so in deine Würde als Burggraf hineingesteigert hättest, dass deine Eingeweide überschäumten ...«
»Wie redest du denn mit mir?«
»... hättest du wie ich erfahren, dass Ludwig Stinglhammer keineswegs der Buchhalter von Ulrich Hoechstetter war.« Gregor gaffte. »Sondern?«
»Sein privater Schnüffler, Schlüssellochgucker, Unter-die-Bettdecken-Späher, Skandalfinder und Mann für die Drecksarbeit. Ulrich Hoechstetter, der viel auf Reisen ist, verlässt sich für die Zeit seiner Abwesenheiten nicht ausschließlich auf seinen Sohn, solange der noch ein junger beeinflussbarer Wirrkopf ist. Stinglhammers Arbeit bestand ausnahmslos darin, alle Menschen im Umkreis Ulrich Hoechstetters, das Gesinde, die Verwandten, die Geschäftsfreunde, die Partner und Agenten des Hauses, zu überwachen und alles festzuhalten, damit Ulrich keine Regung in seinem Haus entging.« Ich grinste und konnte es mir nicht verkneifen. »Wenn man so will, war Stinglhammer der Hoechstetter'sche Burggraf.«
Diesmal ging er nicht darauf ein. Er war vollkommen fassungslos. »Weißt du das alles von Jakob Fugger?«
»Nur das Letzte. Den Rest habe ich heute Vormittag im Hause Hoechstetter erfahren, von einer der Dienstmägde aufdem Markt, in einer Trinkstube, wo mir beinahe der Hals umgedreht worden wäre, und von Bürgermeister Onsorg.«
Gregor dachte eine Weile nach. Dann ließ er den Kopf hängen. »Du hast dich gar nicht verlustiert«, sagte er dann einigermaßen beschämt.
»Warum hast du das alles noch nicht rausgefunden, Gregor? Du hast mindestens zwei Tage Vorsprung bei deinen Ermittlungen, oder nicht?«
»Du weißt doch, dass ich jede Menge Arbeit als Vertreter des Bischofs habe. Deswegen habe ich dich doch angestellt.«
»Papperlapapp! Die Wahrheit ist, dass du nicht eher mit den Untersuchungen begonnen hast als ich, weil du vorher noch gar nicht wusstest, was wirklich los war. Soll ich dir sagen, was mir heute Vormittag noch klar geworden ist? Du hast noch kein einziges Wort mit Georg Hoechstetter gewechselt. Die geplatzte Audienz am Tag von Dädalus' Beerdigung und dass er dich am Tag darauf wegen der Aufklärung der Mordfälle ins Gebet nahm – alles gelogen. Hoechstetter hat die Fälle in die Hand des Stadtvogtes gelegt, und du hast Stinglhammers Schreiber bestochen, damit sie dich auf dem Laufenden hielten. Dass sie dich wegen eines zweiten Mordes alarmieren würden, konntest du nicht ahnen. Was hast du wirklich vor, Gregor? Warum setzt du dich nicht ruhig in den Burggrafenturm, klagst ein paar Bäcker wegen der Kieselsteine in ihren Semmeln an und wartest ansonsten auf die Rückkehr des Bischofs?«
Seine Gesichtsmuskeln zuckten. Ich dachte, dass es jeden Moment mit seiner Beherrschung vorbei sei, und erwartete, zornig angebrüllt zu werden. Ich hätte es sogar willkommen geheißen, denn im Moment sah es nicht danach aus, dass ich in meinem Bemühen, die Mordfälle zu klären, mit meiner Suche nach Maria weiterkam. Außerdem verstärkte sich mein Eindruck, dass ich Gregor von Weiden nicht trauen konnte. Er spielte sein Spiel mit mir, und ich war nicht gewillt, dies länger hinzunehmen.
Gregor sah auf. Seine Augen waren gerötet.
»Du hast Recht«, sagte er. »Du hast dich wie ein Freundverhalten, und ich habe mich wie ein Idiot benommen. Du hast absolut Recht.«
»Was soll das Ganze?«
»Es tut mir Leid. Verdammt, es tut mir wirklich Leid.« Er wischte sich hastig mit dem Ärmel über das Gesicht und vermied es, mich anzusehen.
»Warum schenkst du mir nicht reinen Wein ein?«, fragte ich bestürzt.
»Alles läuft so beschissen ... und jetzt habe ich dich auch noch verprellt. Das ist unverzeihlich.« Er schielte. »Verzeihung, aber ich ... all die Anspannung der letzten Zeit... und die ständigen
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