Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)
ehrfürchtig auf die Knie, nicht mit dem mühsamen, ein wenig widerspenstigen Ächzen, das durch die Kirche geht, wenn der Priester die Arme hebt, sondern mit einer plötzlichen, vollkommen ergebenen Einmütigkeit, die wirkliche Unterwerfung demonstrierte. Einen überraschten Augenblick lang stand ich aufrecht, ein Außenseiter, der nun sichtbar aus den anderen herausragte. Quer über die Gläubigen hinweg sah ich jemanden, der gleich mir von dem plötzlichen Niederwerfen überrascht worden war: eine Gestalt mit einem kurzen altertümlichen Skapulier um die Schultern und einer Gugel, die tief über eine Gesichtsmaske gezogen war, dunkle Löcher in einem formlosen hellen Tuch wie die Augenhöhlen in einem Schädel. Für einen Augenblick begegneten sich unsere Blicke, dann ging sein gebeugter Rücken in der Menge der anderen Rücken und im trüben Licht des Fackelrauchs unter.
Ich kniete mich ebenfalls hin. Der Boden war kalt und nass an meinen Hosenbeinen. Um nicht noch mehr aufzufallen, senkte ich den Kopf, und spähte vorsichtig unter dem Rand meiner Kapuze hervor. Ich fragte mich, wer interessanter für mich war: der Hohepriester oder der Mann auf der anderen Seite der Kammer, der entweder gerade erst zur Gemeinschaft der Grubenleute gestoßen war oder sich gleich mir hier eingeschlichen hatte.
Der Messdiener des Hohepriesters schritt die wenigen Stufen von der Plattform hinab zu der Menge der Gläubigen und blieb, die Hand ausgestreckt, vor einer gebückten Gestalt stehen, die eine der Fackeln mit beiden Händen vor dem Körper umklammert hielt. Durch die Nächstknieenden ging ein Seufzen, als die Fackel zum Messdiener überwechselte, undder Mann, der sie bis dahin gehalten hatte, hob die Hände in die Höhe, als sei er auserwählt worden, an etwas Besonderem mitzuwirken. Der Messdiener stapfte wieder zum Altar hinauf und hielt die Fackel an die Schüssel mit den Klauenbeinen, bis einen Moment später Flammen daraus emporflackerten, denen sich dichter schwarzer Rauch entrang. Die Maske des Hohepriesters glitzerte hinter der wabernden Luft und dem Rauch hervor, als schwebte sie in der Luft. Die Gemeinde raunte, ein paar falteten die Hände und hoben sie vor die Lippen, und der eine oder andere Rücken straffte sich plötzlich und begann wie in Trance hin und her zu pendeln. Ihre Erwartungen waren samt und sonders auf den Mann mit der goldenen Maske eines lange zu Staub zerfallenen römischen Hauptmanns gerichtet, und es brauchte nicht viel, um sie in Ekstase zu versetzen: ein bisschen Rauch, ein bisschen Feuer, die Knie in der Nässe eines fast überschwemmten Steinbodens und den Arsch nach oben in die rauchschwangere Luft einer muffigen alten Katakombe gereckt. Ich fühlte plötzlich ein unsinniges Lachen in meiner Kehle emporsteigen. Vom heimlichen, stummen Zusammentreffen auf dem Gräberfeld bis zu der alten, ihrer eigentlichen Bestimmung entrissenen Maske des Hohepriesters waren es lauter durchschaubare Versatzstücke, denen sie ihre religiöse Begeisterung verdankten. Eigentlich war es alles andere als zum Lachen, aber wie sonst konnte ich darauf reagieren. Eine Frauenstimme kreischte plötzlich auf und ernüchterte mich einigermaßen, die Not in ihrer Stimme nicht weniger groß als die einer Hungerleiderin, die um ein Almosen für ihr krankes Kind fleht: »Libera me, domine!«
Die Maske wandte sich ihr zu, einer vermummten Gestalt unter vielen, und ich hätte schwören können, dass ein befriedigtes Lächeln um die unbeweglichen metallenen Lippen spielte. Der Hohepriester streckte die Arme nach vorn, über das Feuer hinweg, seiner Gemeinde zu und spreizte die blassen Finger. Ich versuchte Schmuck zu erkennen, der mir vielleicht verraten hätte, wer die Gestalt hinter dem Altar war, doch es waren weder Ringe an den Fingern noch Armbänder um dieHandgelenke zu sehen. Dann wandte er die Handflächen nach oben, und die Gemeinde flüsterte ergriffen: »Libera me.«
Der Hohepriester trat einen Schritt zurück, bis die Maske nur noch ein blitzender Schemen hinter dem dichten Rauch des Tranfeuers auf dem Altar war. Er breitete die Arme wieder zur Seite aus.
»Hört das Wort des Gebieters und Herrn!«
Seine Stimme hätte dumpf klingen sollen, doch sie war hell und klar, was mich vermuten ließ, dass er die Maske im Schutz des Rauchs ein wenig verschoben hatte. Er sprach in demselben Rhythmus wie ein Priester, der die Messe zelebriert, mit jenem hypnotischen Sprechgesang, dem so leicht zu folgen ist, dass man in
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