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Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)

Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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verdämmerten und nicht wussten, dass Schlimmeres in ihre Gänge eingedrungen war als gerüstete römische Elitetruppen, gegen deren Vormarsch der enge Gang sie schützen sollte. Der Gang dahinter in flachen Treppenstufen abfallend, über die das Wasser rann, der plötzliche Geruch von Weihrauch und das Flüstern von gedämpften Stimmen, das sich über dem Murmeln des Wassers brach und verzerrte Worte ins Ohr wisperte. Wir näherten uns dem Ziel.
    Die dritte und größte Kammer war der Versammlungsort der Märtyrer gewesen: ihre Kirche. Diesen Zweck erfüllte sie jetzt wieder. Die mit Ruß an die Wände gezeichneten Kreuze waren auch hier halb verblasst. Niemand hatte sie nachgezogen, denn dies war keine Kirche des Heilands mehr. Der Boden war mit Platten ausgelegt, unsichtbar unter den weiten Wasserlachen, aber fühlbar unter den Sohlen. Die alten Baumeister waren klug genug gewesen, eine Kiesschicht zwischen den Platten und dem Lehmboden anzulegen, in der das Wasser langsam versickerte.
    Die Kammer war rund wie die beiden vorigen. Gegenüber dem Eingang lag ein mit wenigen Stufen zu erklimmendes erhöhtes Stück wie eine Plattform. Niemand machte Anstalten, sie zu ersteigen. Ein aus einzelnen Steinen und Holzklötzen zusammengefügter grober Tisch war der Altar, der auf derPlattform stand, eine tiefe Schüssel auf Klauenbeinen der einzige Schmuck. Die Grubenleute drängten herein, und ich ließ mich von ihnen zur Seite schieben, bis ich am Rand der Menge stand. Die Fackeln wurden mehr und mehr, bis der Weihrauchgeruch von ihrem ranzigen Pechgestank verdangt war und die Kammer hell genug erleuchtet wurde, dass man die schmierigen Flechten und Moose auf den Backsteinen erkennen konnte.
    Hinter dem Altar stand eine Gestalt mit dunklem Mantel und Kapuze wie die Hohngestalt eines Priesters. Ein anderer Vermummter kauerte daneben als weitere Verhöhnung der Liturgie: offenbar der Messdiener. Zu seinen Füßen glomm ein kleines Kohlebecken, von dem die Rauchfäden des Weihrauchs in die Höhe schwebten. Der Priester stand vollkommen bewegungslos. Er hätte eine Statue sein können, der man den Mantel übergeworfen hatte. Es war nicht zu erkennen, ob er groß oder klein, dünn oder dick war.
    Die Geräusche der vielen Füße auf den Treppenstufen und in den Wasserlachen verstummten nach und nach. Der Messdiener richtete sich auf und spähte über die Menge hinweg, das Gesicht unter der Kapuze ebenso verhüllt wie mein eigenes. Ich folgte seinem Blick und sah, dass die Vermummten in der Minderzahl waren. Die meisten der Anwesenden waren nicht maskiert, doch fast alle hatten ihre Gesichtszüge mit Kohle, Pech oder Ruß verschmiert. Weniger, um sich vor ihren Glaubensgenossen unkenntlich zu machen, als um in der Nacht nicht gesehen zu werden, wenn sie nach dem Ritual zu den Stadtmauern zurückschlichen und sich dort niederkauerten, um im Morgengrauen im Schutz der Marktkarren durch die geöffneten Tore zu schleichen. Der Messdiener hustete, die Kongregation wurde noch stiller, und dann sagte er dumpf:
    »Die Kinder sind versammelt, domine.«
    Der Priester gab sich einen Ruck, als habe er bislang in stummer Kontemplation verharrt. Seine Gestalt erbebte. Er breitete langsam die Arme aus wie ein Priester, der zur Wandlung anhebt, und sein gesenkter Kopf erhob sich mit der gleichen Langsamkeit.
    Ein paar Mitglieder der Kongregation stöhnten voller Erwartung auf. Ihre Stimmen waren die von Frauen. Dann fiel das Fackellicht unter die Kapuze des Priesters und ich hörte mich keuchen. Das Gesicht unter der Kapuze wandte sich mir zu, als habe es mich gehört, und ich trat einen Schritt zurück, bis ich an die Wand stieß.
    Es war das Gesicht eines Leichnams: leblose Züge, tote schwarze Augenlöcher, farblose, fest zusammengepresste Lippen, fahlgelb und bar jeder menschlichen Regung.
    Das Fackellicht glitzerte darauf und warf einen Reflex.
    Der Priester hatte das Gesicht eines römischen Hauptmanns, in Gold getrieben und zweifellos dereinst an dessen Prunkhelm befestigt. Vielleicht war der Soldat Christ gewesen und hatte das Kleinod zu seinem Leichnam in eine Nische legen lassen, vielleicht hatte der Priester der Grubenleute es anderswo gefunden. Es spielte keine Rolle. Es war eine Maske und das eigentliche Gesicht darunter unkenntlich, wie die ganze Gestalt unter dem Mantel nicht zu identifizieren war. Er wandte sich der anderen Seite der Kammer zu und breitete die Arme noch weiter aus.
    Die Messe begann.

5.
    Die Gemeinde fiel

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