Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)
ihre Gliedmaßen waren. Die anderen Teilnehmer an der Messe verschwanden nach und nach so, wie sie gekommen waren, Schatten, die mit dem Gebüsch und der Dunkelheit verschmolzen.
»Geh einfach weiter«, zischte ich ihr ins Ohr.
»Wer sind Sie?«
Die Wandlung war der Höhepunkt der Messe gewesen. Danach kam nichts mehr. Der Hohepriester war bewegungslos stehen geblieben, bis das Feuer in der Schale heruntergebrannt war.
Er hätte auch eine leere Hülle sein können, die aufrecht blieb, während der Mann darunter entschlüpft war. Die Gemeinde war langsam zu sich gekommen und stumm hinausgestolpert, einer nach dem anderen, den Eindruck vermittelnd, den ein Mann macht, der zu einer Badehure gegangen ist und mit dem Verströmen seiner Lust festgestellt hat, dass er es gar nicht tun wollte.
»Geh weiter«, knurrte ich. Ich blickte in alle Richtungen, um Lutz zu erspähen, doch der bullige Mann war in der Menge verschwunden. Verschwunden war auch der Maskierte, der möglicherweise wie ich widerrechtlich in die Messe eingedrungen war. Ich hatte nur eine Person im Auge behalten können, und ich hatte mich für meine Tochter entschieden.
»Sie tun mir weh«, sagte sie, ohne sich zu wehren. Ihre Stimme war teilnahmslos, sie sprach so träge, als hätte ich sie aus einem langen Schlaf aufgeweckt.
Ich schob sie vor mir her bis zum Rand des Dickichts. War sie bislang folgsam gewesen, so blieb sie jetzt stehen. »Weiter.«
»Sie gehören nicht zu uns.«
Es lief mir kalt den Rücken hinunter, als sie es sagte. Wenn dies die Familie war, der sie sich jetzt zugehörig fühlte, dann hatte ich noch mehr falsch gemacht, als ich befürchtet hatte.
Aus einem anderen versteckten Pfad schob sich eine vermummte Gestalt heraus und hielt inne, als sie uns sah. Ich versuchte, Maria zum Gehen zu bewegen, aber sie sträubte sich. Nach ein paar Momenten hob die andere Gestalt eine Hand wie zum Gruß und huschte davon. Sie bemühten sich, möglichst unerkannt zu bleiben, und dazu gehörte auch, getrennt die Stätte ihres Götzendienstes zu verlassen. Im schwachen Licht, das die mondbeschienenen Wolken durchließen, sah ich einzelne dunkle, verhüllte Gestalten über die freie Fläche zwischen dem Gräberfeld und den Behausungen der Pfahlbürger huschen, lautlos und geduckt wie Nachttiere, die dem Licht entkommen wollten.
Maria machte keine weiteren Schwierigkeiten, als ich mich aufs Neue in Bewegung setzte. Ich versuchte zu erkennen, zwischen welchen Hütten Albert und die Kutsche warteten, konnte sie jedoch nicht entdecken.
»Was wollen Sie von mir?«
Ich riss mir ungeduldig die Maske vom Kopf. Ihrem von Rußschmiere und trocknendem Tierblut entstellten Gesicht war keine Regung anzumerken, und dass ihre Stimme zitterte, bildete ich mir wahrscheinlich nur ein. Sie strömte den bleiernen Geruch von Blut aus.
»Vater«, sagte sie.
»Ja, Vater! Wie zum Teufel kannst du nur ...« Ich schluckte den Rest hinunter, auch wenn es mich fast würgte. Dies war weder der Ort noch die Zeit, und wenn ich es recht überlegte, war vermutlich ich derjenige, der eine Standpauke verdient hatte. Sie wäre nicht hier, hätte ich als Vater nicht so grandios versagt. Ich schleifte sie weiter.
»Wo bringst du mich hin?«
»Irgendwohin, wo wir reden können.«
»Du kommst nicht in die Stadt hinein.«
»Ich habe Mittel und Wege.«
»Es gibt nichts, was ich dir zu sagen habe.«
»Ich habe dir etwas zu sagen.«
Sie schien nicht erstaunt, als ich sie in die Pfahlsiedlung führte. Ihre Augen glitzerten in ihrem verschmierten Gesicht wie die gläsernen Augen einer Puppe. Ich konnte die Kutsche des Bischofs nirgends entdecken und fluchte leise.
»Du kannst mich nirgends halten, wo ich nicht sein will.«
Ich blieb stehen und spürte, wie meine Furcht und Verwirrung das Übliche taten: Sie kochten Zorn in mir hoch.
»Glaubst du, dass dein lächerlicher Gebieter kommt, um dich zu holen?«
»Du hast mich auch damals nicht halten können.«
»Ich war ...«
»Aber du hast mich auch nicht halten wollen.«
Mein Zorn fiel wieder in sich zusammen. Was hätte ich darauf antworten sollen? Ich zog sie weiter.
»Was suchst du? Den Weg zum Gögginger Tor? Es ist verschlossen.«
Endlich hörte ich ein Pferd schnauben und folgte dem Geräusch. Albert hatte die Kutsche neben einer zusammengesackten Hütte abgestellt, die offensichtlich nicht mehr bewohnt war – wahrscheinlich war sie ihm sicherer erschienen als die bewohnten Behausungen rund herum. Das Kutschpferd
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