Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)

Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
Vom Netzwerk:
einzelnen Punkte zu orten, von denen der Schmerz ausging. In meinem Schädel steckte ein glühendes Messer, in meinem Magen das stumpfe Ende eines Spießes, meine Hüfte klemmte zwischen den Backen einer erbarmungslos pressenden Zange, und an meinem Bein hing ein bissiger Hund. Ich fühlte mich so schwach und elend, dass ich am liebsten geweint hätte. Von draußen erklangen Hufgetrappel und Stimmen und das unablässige Jammern der Kinder und Bettler nach Almosen. Niemand wusste, dass ich hier war und dachte, sterben zu müssen, und nach ein paar Sekunden merkte ich, dass ich tatsächlich weinte.
    Maria war verschwunden. Lutz und ich waren allein in der Hütte. Ich hatte sie nun doch auch zum dritten Mal verloren.
    Das Licht, das durch die Ritzen in der Decke sickerte, ließ die Erinnerung daran auferstehen, wie Lutz in die Knie gesunken war und wie Maria hinter ihm gestanden und die Stange geschwungen hatte. Mit dem Licht sickerte die Erkenntnis in mein Gehirn, dass sie mir das Leben gerettet hatte.
    Und dass es vollkommen nutzlos war, wenn es mir nicht gelang, aus der Hütte zu entkommen, bevor Lutz das Bewusstsein wiedererlangte.
     
    Das Aufsetzen war das Schwierigste gewesen, danach ging es leichter. Ich legte den Brocken, den ich mir aus den aus dem Fundament gerollten Steinen geholt hatte, neben mich, fest entschlossen, Lutz mit dem Stein den Schädel einzuschlagen, wenn er erwachen sollte. Dann ging ich mit zusammengebissenen Zähnen ans Werk. Jede Bewegung machte mir Schwierigkeiten. Es war nicht einfach, Hände und Finger gleichzeitig zu bewegen, und abwechselnd schwappten Hitze, Kälte und Übelkeit über mich hinweg.
    Lutz' Beine waren ausgestreckt. Ich zerrte so lange an seinem rechten Arm, bis auch dieser gestreckt hinter seinem Kopf lag. Dann kroch ich zu seinen Füßen und zog ihm den Stiefelvom linken Fuß. Seine Beinlinge waren ausgeleiert, doch für meine Zwecke waren sie noch eng genug. Ich wuchtete die Stange, die neben ihm lag, vom Boden, bekämpfte einen neuerlichen Schwindelanfall und schob ein Ende der Stange unter der Öffnung des Hosenbeins hinein.
    Oben, wo die Beinlinge über seinen Gürtel gerollt waren, kam sie wieder zum Vorschein. Der Gürtel war eng, und ich schabte die Haut an seinem Rücken auf, als ich sie drunter durchzwängte. Ich beschloss, dass mein Gewissen das verkraften konnte. Dann fädelte ich die Stange unter seinem Hemd hindurch und schob und zog, bis sie durch den langen Ärmel an seinem ausgestreckten rechten Arm wanderte und an seinem Handgelenk nach draußen ragte. Lutz erwachte bei alldem nicht aus der Besinnungslosigkeit. An seinem Hinterkopf war eine blutunterlaufene Beule, wo ihn Marias Schlag zweimal getroffen hatte. Die Haut war nicht aufgeplatzt. Das Blut auf dem Boden musste vom dem ungebremsten Fall auf sein Gesicht stammen. Ich richtete mich ächzend auf.
    Er würde sich nicht bücken oder gar aufstehen können, solange die Stange von seinem linken Fuß über seinen Rücken bis zu seinem rechten Handgelenk führte und unter seinem Gürtel fest saß. Und er würde sie nicht ohne fremde Hilfe herausziehen können. Sollte er aufwachen, während ich noch hier war, befand ich mich in Sicherheit.
    Ich kroch zum Vorhang hinüber und zog mich daran in die Höhe. Als ich es geschafft hatte, blieb ich eine halbe Ewigkeit daran geklammert stehen, bis die Hütte aufgehört hatte, sich um mich zu drehen, und meine Beine glaubhaft versicherten, mich tragen zu können.
    Dann wankte ich in den Teil des Raums hinter dem Vorhang, in dem ein Strohsack als Matratze auf dem Boden lag und in dem ich hoffte, einen Hinweis zu finden, wo ich nun nach Maria suchen musste.



DAS DRITTE OPFER

1.
    Der Bereich hinter dem Vorhang war noch erbärmlicher als der davor: eine Heuschütte am Boden, über die eine Decke gebreitet war, und ein kleines Kästchen ohne Schlüssel, wie sie Kaufleute verwenden, um ihre wichtigsten Dokumente auf der Reise zu verwahren. Wahrscheinlich stammte sie aus dem Besitz meines Schwiegersohns. Das Päckchen Papier, das Jos Onsorg uns am Vormittag abgenommen hatte, hätte das Kästchen bis zum Rand gefüllt. Ich biss die Zähne zusammen und humpelte hinüber. Das Lager war so dürftig, dass es den Boden kaum mehr als fingerbreit bedeckte, ich wusste, wenn ich mich hinsetzte, würde ich ohne heftige Schmerzen nicht mehr aufstehen können. Das Kästchen verschwamm aus dem Fokus meiner Augen, als eine Welle von Übelkeit in mir hochstieg und mich trocken husten

Weitere Kostenlose Bücher