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Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)

Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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ließ. Lutz draußen antwortete darauf mit einem halb bewussten Stöhnen. Ich konnte mich nicht bücken, ohne vornüberzufallen, also ließ ich mich zuerst auf ein Knie und dann auf das zweite sinken und fischte mit tauben Fingern nach dem kleinen Behältnis.
    Als ich das Kästchen in Händen hielt, zögerte ich, schließlich war es der einzige Ort, an dem Maria etwas Persönliches aufbewahren konnte. Dann fingerte ich den Haken aus der Öse und schlug den Deckel auf.
    Der letzte Brief ihres Mannes oder eine Haarlocke von ihm, ein Schmuckstück, das er ihr geschenkt hatte, ein verblichenes Band aus einem Kleid ihrer Mutter, ein Säckchen mit getrockneten Blüten vom Garten hinter unserem Hof bei Landshut, ein Andenken an ihren Bruder Daniel und ihre Schwester Sabina (wenn schon nicht an mich), die letzten Pfennige, säuberlich halbiert und geviertelt, um sie in Stücke geringeren Werts zuteilen: All das oder Ähnliches hatte ich in Marias persönlichem Besitz erwartet. Als Ludwig Stinglhammer sich von Karl Hoechstetter überreden ließ, Maria auf die Straße zu setzen (zweifellos in vollem Bewusstsein dessen, was Hoechstetter und Dädalus planten, und neugierig, wie tief sie sich hineinreiten würden, bevor er Ulrich Hoechstetter Meldung machte), musste doch noch genügend Zeit gewesen sein, ein paar Dinge zusammenzuraffen. Maria hatte jedoch nur einen einzigen Brief gerettet, und als ich die Schrift darauf sah, hatte ich das Gefühl, das Kästchen wüchse plötzlich und dehne sich aus zu einer tiefen Grube, und ich fiel mitten hinein. Der Brief war von Jana.
    Ich steckte ihn in den Gürtel, ohne zu wissen, was ich tat, schließlich war der Brief das Eigentum meiner Tochter. Darunter lag eines der strohgeflochtenen Trigramme in der Art, wie sie es in Dädalus' Grab geworfen hatte. Ich nahm es ebenfalls an mich; auch wenn es plötzlich weniger bestürzend als der Brief wirkte. Dann rappelte ich mich hoch. Der Weg um den Vorhang herum und an Lutz' ausgestreckten Beinen vorbei bis zur Türöffnung war meine persönliche Via Dolorosa. Trotz des trüben Lichts im Inneren der Hütte sah ich an Lutz' Stiefelsohlen etwas glitzern. Er hatte sich unter den Absatz und an die Spitze der Sohle gebogene Eisenstücke nageln lassen wie kleine Hufeisen. Das Gehen hatte die Kanten zu Messerklingen geschliffen. Ich dachte nicht einen Moment, dass Lutz sie aus Sorge um eine vorschnelle Abnutzung der Sohlen dort hatte anbringen lassen.
    Außerhalb der Hütte war das Licht so grell, dass ich blinzelte. Ich musste mich an der Hüttenwand abstützen. Das Gögginger Tor, das sich hinter den Behausungen der Pfahlbürger erhob, schien so weit weg wie der Mond. Ich fasste an den Brief in meinem Gürtel und tat einen Schritt, aber ich wusste, ich würde die Stadt nie aus eigenen Kräften erreichen. Ich spürte, wie mich einige Müßiggänger musterten, und dachte unwillkürlich an Wölfe, die einen verletzten Hirsch umschlichen, darauf wartend, dass er zusammenbrach. Hier hatte ich keinen Beistand zu erwarten. Aus der Hütte hinter mir ertönte einÄchzen. Ein erstickter Fluch folgte, und ich fühlte, wie sich Panik in meine Eingeweide senkte wie kalter Stein. Ich machte noch einen Schritt von der Hütte weg und wäre beinahe gefallen. Lutz schrie wütend auf, als er erkannte, in welcher Lage er sich befand. Plötzlich hielt ich den Einfall, ihn mit der unter sein Gewand geschobenen Stange bewegungsunfähig zu machen, für die schlechteste Idee meines Lebens. Eine Stimme in meinem Kopf fragte nörgelnd, warum ich nicht einfach den Stein genommen und Lutz damit den Schädel eingeschlagen hatte, solange noch Zeit dazu war.
    Ich machte einen dritten Schritt, sah auf einmal alles doppelt, stolperte und prallte gegen etwas Hartes, das vor mir aufgetaucht war wie ein Schatten. Jemand fasste mich an der Schulter, und ich schrie auf und schüttelte ihn ab, wild vor Schreck und genau wissend, dass ich nicht einmal mehr genügend Kraft hatte, mich gegen eine junge Katze zu verteidigen.
    »Steig ein«, dröhnte eine Stimme in meine Ohren. Zwei Hände fassten mich unter die Achseln und hielten mich aufrecht. »So wie du aussiehst, hätte er sicher nichts dagegen, Bub.«
     
    In der Kutsche des Bischofs untersuchte ich meine Wunden. An meinem rechten Schienbein war in der Länge einer Handspanne der Stoff des Beinlings gerissen und die Haut dazu. Der ausgefranste Stoff um die Wunde herum war blut- und schmutzverkrustet. Daneben saß eine längliche Beule,

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