Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)
meine eigenen Ohren hörte es sich an wie im Traum.
»Bei der Wertach, ein Flößer sah ihn im Wasser. Irgendwo in der Nähe des alten Heidenfriedhofs. Wer zum Teufel sind Sie eigentlich?«
Ich gestikulierte mit einem schweren Arm in Richtung Karl Hoechstetters Arbeitsstube. Der Herr des Hauses Hoechstetter zuckte nur ungeduldig mit den Achseln und drängte sich an mir vorbei. Ich hatte das Gefühl, dass jede meiner Bewegungen so langsam war wie unter Wasser. Beim Heidenfriedhof. Beim Versammlungsort der Grubenleute. Hatte er sich auf der Jagd zu weit vorgewagt, angespornt durch die Erkenntnisse, die Ludwig Stinglhammer in seinen Dokumenten festgehalten haben mochte?
»Warten Sie«, sagte ich langsam, »ich komme mit.«
»Beeilen Sie sich«, stieß er hervor, ohne sich umzudrehen.
Man hatte ihn im Wasser gefunden, und dass man von einem Mord sprach, wies darauf hin, dass er nicht wie ein Ertrunkener aussah. Ich hastete hinter Ulrich Hoechstetter her, soschnell mein zerschundener Leib es zuließ. Die anderen Morde hatten sich in geschlossenen Räumen ereignet; warum war das Muster diesmal durchbrochen worden? Hatte der Mörder keine Zeit mehr gehabt, den Bürgermeister zu Hause heimzusuchen? Hatte er das Gefühl, dass man ihm auf der Spur war?
Martin Dädalus und Karl Hoechstetter hatten meine Tochter aus der Nähe der Firma entfernen wollen, und Ludwig Stinglhammer war den Anweisungen des Faktors gefolgt, neugierig, was sich daraus entwickeln würde. Die Stadtbehörden hatten damit nichts zu tun.
Von Schmerzen gepeinigt fiel ich die Treppenstufen mehr hinunter, als dass ich ging. Ulrich Hoechstetter und seine Männer rannten bereits aus dem Tor. Ich hörte das Wiehern des Pferdes, mit dem der Kaufmann gekommen sein musste. Die Kutschpferde, die im Torgang ausgeschirrt wurden, gaben lautstark Antwort und scheuten. Albert schreckte auf dem Kutschbock aus dem Dösen auf und starrte um sich. Ich stolperte auf ihn zu.
»Geht's los?«, krächzte Albert.
»Fahr zu Gregor!«, rief ich. »Sag ihm, der Bürgermeister ist tot. Er soll zum Heidenfriedhof hinauskommen, so schnell es geht.«
»Was ist passiert?«
»Fahr zu Gregor!«, schrie ich mit höchster Lautstärke. »Wer ist tot?«
»Der Bürgermeister!« Die Knechte bei den Pferden starrten mit aufgerissenen Augen und Mündern zu uns herüber. »Ulrich Schwarz?«
Ich antwortete nicht, sondern hinkte, so schnell ich konnte, zu den Kutschpferden hinüber. Eines, das Leitpferd, hatte einen leichten Sattel auf dem Rücken.
»He, was ist denn passiert?«, dröhnte Albert. »Vielleicht sagt mir einer was?«
»Ich brauche das Pferd«, keuchte ich und deutete auf das Leitpferd, das von einem Knecht am Zügel gehalten wurde.
»Das geht nicht...«, begann er.
Ich deutete auf das Wappen des Bischofs an der Kutsche. »Das ist meine Legitimation. Und wenn dir was nicht passt, frag Herrn Ulrich, wenn er wieder zurück ist.« Ich riss ihm die Zügel aus der Hand. Er gab nach.
»Ist ja gut.«
Ich schwang mich in den Sattel. Alle meine Muskeln verkrampften sich, und mir wurde schwarz vor Augen. Wahrscheinlich würde der Ritt mich endgültig umbringen, aber ich konnte nicht hier bleiben. Das Pferd drehte sich einmal um sich selbst und schnaubte. Albert gaffte mich an.
»Gregor!«, schrie ich. »Schnell!«
Dann sprengte ich hinaus. In der Annagasse überholte ich die Männer Ulrich Hoechstetters, die fluchend und im Laufschritt über das Pflaster eilten. Hoechstetter selbst holte ich erst ein, als mein Pferd keuchend an der Stelle zum Stehen kam, an der man Jos Onsorg aus dem Wasser gezogen hatte.
4.
Ein schwarzer Reiter, riesengroß, der auf einem ebenso riesigen schwarzen Pferd saß, hatte an der Stelle gestanden, an der sich Jos Onsorgs Leiche im Ufergestrüpp verfangen hatte. Das Pferd hatte Feuer geschnaubt, die Augen des schwarzen Reiters hatten gelodert. Er hatte triumphierend gelacht und in seiner Faust etwas gehalten, das sich wand und wimmerte und sich flüchtig zu machen versuchte wie ein Rauchfaden. Das Pferd hatte gestampft, dass die Funken aus dem Boden flogen. Seine Hufe waren von frischem Blut besudelt gewesen. Der Reiter hatte barfuß in den Steigbügeln gestanden, seine totenblassen Füße das Einzige an ihm, das nicht vor Schwärze schwindlig machte, und hinter dem Sattel hatte etwas die Luft gepeitscht, das wie zwei riesige Schwingen aus Rabenfedern aussah. Sein Gesicht war nicht zu erkennen gewesen, versteckt unter einem altertümlichen schwarzen
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