Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)
Lippen zusammen. Unbewusst rieb er sich über den Bauch und seufzte. Ich spürte plötzlich meine eigenen Schmerzen wieder und das Pochen in meinem Schädel. Obwohl ich mir geschworen hatte, mich nie mehr auf den Bittstellerhocker vor dem Tisch des Bischofs zu setzen, ließ ich mich doch darauf niedersinken. Gleich danach fragte ich mich, wie ich ohne fremde Hilfe jemals wieder in die Höhe kommen sollte. »Du bist der Ansicht, ich hätte draußen bei den Heidengräbern sein sollen, stimmt's? Ich verhalte mich wie ein gefühlloser Klotz. Ich sollte mich betroffen zeigen ... ich sag dir was: Warum soll ich Mitgefühl mit Onsorg heucheln? Du hast selber mitbekommen, dass er nicht unbedingt mein Freund war. Ich bin nicht gut im Heucheln ... wahrscheinlich ist es das, was die Kerle im Rat immer an mir stört, dass ich geradeheraus bin und mich nicht verstelle. Das ist es, was mein Fortkommen verhindert, aber anders kann ich nicht ... so tief möchte ich nicht sinken.«
»Und Albert war nicht hier und hat dich alarmiert?«
»Ich hätte ihn gar nicht hereingelassen. Wie kommst du darauf, dass der Trottel von Onsorgs Tod gehört haben soll?«
»Weil ich ihn beauftragt habe, dir Bescheid zu sagen.«
Gregor beugte sich plötzlich über den Tisch und kniff die Augen zusammen. Er musterte mich. In seiner Kurzsichtigkeit fiel ihm erst jetzt auf, dass etwas nicht stimmte. »Wie siehst du denn aus?«
»Ich bin einem Esel vor die Hufe geraten.«
Er klappte den Mund auf und sah mich dümmlich an. »Was?«
»Ich hatte Streit mit einem von Stinglhammers ehemaligen Dienstboten. Kannst du dich an den kahl geschorenen Kerl erinnern, der dich einen Arschabwischer nannte?«
Er dachte nach. »Vage.« Dafür, dass er sich so über Lutz und seine Frechheiten erregt hatte, war seine Erinnerung an ihnbemerkenswert trüb. Wahrscheinlich tendierte er dazu, die Leute zu vergessen, die ihm nicht den nötigen Respekt bezeigten. »Worüber seid ihr in Streit geraten?«
Ich machte eine unentschiedene Handbewegung. »Du weißt ja, dass man bei Ermittlungen manchmal mit den Leuten über Kreuz kommt.«
»Das kann man wohl sagen.« Er schob die Angelegenheit beiseite. »Wenigstens ist dir nicht viel passiert – nur ein zerkratztes Gesicht und ein geschwollenes Ohr.«
»Ja, ein Glück«, sagte ich.
Er seufzte erneut und wies auf den jetzt leeren Arbeitstisch. »Nach der Pleite heute Mittag mit Stinglhammers Papieren habe ich beschlossen, zunächst meinen Pflichten als Burggraf nachzukommen. Wenn man sich nicht selbst kümmert, läuft alles aus dem Ruder. Vielleicht sollte ich die Ermittlungen einfach einstellen, was meinst du? Ich werde hier nötiger gebraucht ... ich sag dir was: Der Bischof kann froh sein, dass ich seinen Stall in Ordnung halte, wenn er weg ist, und er verlässt sich auf mich ... voll und ganz. Ich sag dir was: Ich kann dieses Vertrauen doch nicht enttäuschen, oder?«
»Und deine Pläne? Die Stelle des Stadtvogts? Hoechstetters Fürsprache?«
Er rieb sich mit Daumen und Zeigefinger über die Nasenwurzel. »Ich bin erledigt«, sagte er. »Ich bin den halben Tag in der Stadt herumgeritten und habe bis jetzt Papiere studiert. Ich sollte ins Bett gehen.«
»So resigniert hab ich dich noch nie gesehen«, stieß ich gegen meinen Willen hervor.
Er lächelte müde. »Tatsächlich? Was haben wir denn bis jetzt erreicht? Ich sag dir was: nichts. Nun ist noch ein Mord passiert, und alles, was wir geschafft haben, ist, in ein versiegeltes Haus einzudringen und die Drecksarbeit für Jos Onsorg zu machen ... nein, nein, jetzt, da der Bürgermeister tot und Ulrich Hoechstetter zurück ist, werden sie nicht ruhen, bis sie eine Erklärung für die Morde gefunden haben. Und auf mich werden sie zuletzt hören.«
»Hast du gesagt, sie suchen nach einer Erklärung oder sie suchen nach dem Mörder?«
»Glaubst du denn, dass sie einen finden werden?«
»Ich dachte, die Stelle des Stadtvogts habe dir wirklich was bedeutet.«
Er schwieg. Ich hörte das Rattern von Holzrädern und das Klappern von Hufen draußen. Jemand trieb ein Kutschpferd rücksichtslos voran. Ich überlegte, wie das Aufstehen am wenigsten schmerzhaft sein würde.
»Vielleicht doch nicht«, sagte Gregor und seufzte. »Du meinst vielleicht, das sei nicht richtig, bei alldem, was ich bei diesen Ermittlungen mitgemacht habe ... ich sag dir was: Erlitten ist das richtige Wort. Beschimpft, ausgelacht, wie ein Dienstbote vor der Tür stehen gelassen ...«
Es ging, wenn ich
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