Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)
Taschen ausgeräumt. Der Alchimist band sein Hemd wieder zu.
»Das war unrecht«, knurrte Hoechstetter.
»Danach haben Sie sich betrunken«, sagte ich. »Sie wollten sich rächen, aber zur Rache gehört Mut, wovon Sie nicht viel besitzen. Sie haben den Jungen aufgestachelt, ihre Peiniger nach und nach umzubringen. Ich habe selbst erlebt, dass er alles tut, was man ihm eindringlich genug erklärt. Sein Körper macht das, was seinem Gehirn fehlt, mehr als wett. Die Zimmer der Ermordeten waren von innen abgeschlossen, weil er selbst sie versperrte, um genug Zeit für den Rückweg zu haben. Und der führte ihn wie der Hinweg durch den Kamin. Im Sommer bestand keine Gefahr, dass jemand das Feuer anzündete. Außer bei Karl Hoechstetter, dem die Gicht zu schaffen machte.« Ich wies auf das verbrannte Gesicht und die blasigen Hände des Knaben. »Er steckte so lange im Kamin, bis er merkte, dass er entweder geröstet oder ersticken würde. Dann sprang er auf die brennenden Scheite herab, verstreute sie im Zimmer und stürzte sich auf Hoechstetter. Ich wette, der Faktor dachte bis zuletzt, dass ihn der leibhaftige Teufel holt.«
»Nein«, sagte Wilhelm und ließ den Kopf sinken, »so war es nicht. Nicht ganz.«
»Wie war es dann?«
Er schwieg. Wir alle sahen ihn erwartungsvoll an. Gregors Lippen zuckten. Ich wusste, dass er bereits an einer Formulierung feilte, die erklärte, dass er dies alles bereits geahnt hatte und dass ein tieferer, absolut genialer Plan dahinter lag, dass er Wilhelm nicht einfach vor Tagen auf der Straße verhaftet hatte.
»Ich ... ich ...«, stotterte Wilhelm.
»Reden Sie«, sagte Hoechstetter. »Sie tun sich damit selbst einen Gefallen. Fangen Sie jetzt nicht zu lügen an.«
Wilhelm schwankte. Plötzlich schlug er die Hände vor den Mund. Ich dachte, er würde sich übergeben, doch er stöhnte nur dumpf in die Muschel hinein, die er vor seinen Lippen gebildet hatte.
»Wollen Sie, dass wir das Gespräch in der kleinen Kammer im Rathauskeller fortsetzen?«, fragte Langenmantel. »Ersparen Sie sich und uns das. Was hindert Sie daran, den Rest zu erzählen? Das meiste haben Sie doch schon gestanden.«
»Ich sag Ihnen was ...«, begann Gregor.
»Ich habe den Jungen nicht aufgehetzt«, sagte Wilhelm in seine Hände hinein. »Ich habe mich hingesetzt und einen Dämon beschworen.«
Tu ohne Zögern, was immer ich dir befehle.
Hilarius Wilhelm, der ächzend von einer Ecke seiner Bleibe zur anderen taumelt, der Bleibe, die er bald aus Geldmangel wird räumen müssen, und wohin dann mit ihm und seinem Begleiter, seinem Medium, seinem Schützling? Die Schmerzen nehmen ihm den Atem, nicht einmal der billige Wein kann etwas dagegen ausrichten. Der Junge beobachtet ihn mit dem Äquivalent dessen, was in seinem schlecht funktionierenden Gehirn als Sorge durchgehen könnte. Hilarius murmelt aufgebracht vor sich hin. Er ist sehr betrunken und sehr wütend. Er versucht vor dem Jungen zu verbergen, dass Tränen des Zorns und der Demütigung in seinen Augen stehen.
Lutz hat seine Taschen geleert, als er wehrlos auf dem Boden lag, und Dädalus und Hoechstetter haben dabei zugesehen. Weg ist der kleine Bergkristall in der Bleifassung, der zu Weihnachten die Zukunft voraussagen kann, wenn ein unschuldiges Kind ihn befragt, weg ist die wundertätige Hasenhaut mit dem Zeichen des Engels Abamixtra, zerrissen sind die heiligen Pergamente mit den dreiunddreißig Namen Gottes. Weg ist auch das bisschen Geld, das er besaß. Seine einzigen Besitztümer sind der Weinschlauch, den er vor Schmerz stöhnend zum Mund hebt, seine Kleider und das Stückchen Kreide, mit dem er seine magischen Zirkel und Symbole auf den Boden zu malen pflegt.
Plötzlich schießt ein Gedanke durch seinen Kopf. Er starrt die Kreide an. Seine zauberkräftigen Besitztümer sind in den Händen eines ungebildeten Totschlägers, doch was ist wirklich die Waffe eines zauberkräftigen Mannes? Sein Können und seine Macht, die Geister der Zwischenwelt herbeizurufen! Und was benötigt er dazu? Seinen Geist, seine Ausbildung und ein Tor, durch das die Dämonen eintreten können. Hilarius nimmt die Kreide auf und hebt sie vor seinen Augen in die Höhe. Ein Stück fest zusammengepressten Pulvers, nicht mehr, aber auch ein Schreibkiel ist nicht mehr als ein Stück ausgerissener Feder, die in schwarze Tusche getaucht ist, und doch kann ein einziger Strich mit diesem Federkiel Kriege beginnen oder beenden und ganze Völker von der Erde vertilgen. Er
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